Kunstdrucke mit Motiven von Roerich Nicholas und Roerich Svetoslav

 

 


Briefe von Helena Roerich, Band 1, 1929 - 1935 >> 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10


11. Juni 1935

       Ich will versuchen, Ihre Frage nach Geist und Seele zu beantworten. In okkulten Schriften bleibt die Antwort auf diese Frage wegen mangelhafter Erklärungen verwirrend und vage. Die östlichen Lehren nehmen zur Zahl der Prinzipien, ihrer Unterteilungen und Verbindungen in bezug auf die Definition von Geist und Seele verschiedene Standpunkte ein. Doch in Wahrheit ist es schwer, die Seele vom Geist zu trennen, denn alle diese Unterteilungen sind verschiedene Aspekte einer fundamentalen Energie, die sich auf verschiedenen Ebenen und durch verschiedene Nervenzentren oder Gefäße offenbart. In allen Lehren finden wir die Unterteilung des menschlichen Wesens in drei Grundprinzipien: das geistige, psychische und physische, oder Geist, Seele und Körper. In den östlichen Lehren gibt es eine Erweiterung dieser drei Grundprinzipien zu besonderem Zweck, und wir finden das vierte, fünfte, sechste und siebente Prinzip. Diese Entwicklung ist von den Mahatmas in der Geheimlehre bestätigt worden. So ist das höchste oder Fundamentalprinzip, das potentiell die Synthese aller anderen umfaßt, die feurige Energie des Lebens oder der Geist, der sich durch den ganzen Kosmos erstreckt; denn sein Brennpunkt erfordert das sechste Prinzip Budhi (oft ”die Geistseele” genannt, zum Unterschied von der Tier-Seele). So bildet sich die Monade, die das primäre unbewußte inkarnierte Ego darstellt. Dann folgt das fünfte Prinzip – das Manas, Selbst-Bewußtsein – ”Der Denker” (höhere Intelligenz). Diese drei Prinzipien bilden die höhere Triade oder das bewußte unsterbliche Ego. Im Devachan überlebt dieses Ego nach Auflösung der anderen Prinzipien, die des Menschen irdische Persönlichkeit bilden, oder wie man im Osten sagen würde, des Menschen niederes Ego oder Ich.

       In der Lehre wird dieses Höhere Ego oder die Triade oft als Geisteskorn bezeichnet, das sich nicht direkt und selbständig auf der Erde offenbaren kann. Um sich zu manifestieren, benötigt diese Triade das vierte Prinzip – genannt Kama, durch das der Wunsch zum Ausdruck kommt, sich in zwei Aspekten zu äußern: Kama-Manas oder niederer Intellekt (wörtlich der Intellekt der Wünsche) und Kama-Rupa oder subjektive Form (die Form geistiger und physischer Wünsche und Gedanken). Dies ist der Denker in Tätigkeit. Kama bildet in Verbindung mit dem höheren Manas und Budhi den höheren feinstofflichen Körper (den Astralkörper, nicht zu verwechseln mit dem ätherischen Doppelgänger, auch ”niederer Astral” genannt), die Geistseele oder den geistig entwicketen Menschen. Kama-Manas stellt eine Brücke dar, die das höhere Manas mit Kama-Rupa verbindet und so Manas und Form vereint, um den Kama-Manas-Körper, oder die menschliche Seele zu bilden. Ist diese Brücke zwischen Manas und seinem niederen Aspekt Kama-Manas hergestellt, – das ist, wenn der Mensch beginnt, die Eindrücke vom höheren Budhi-Manas zu empfangen, – können wir sagen, daß der Mensch geistig entwickelt ist und sich der Unsterblichkeit nähert. Daher ist es zur Erlangung wahrer Unsterblichkeit, das heißt des Erhaltens des Bewußtseins auf allen vier Ebenen des Seins, um ein Archat zu werden, wichtig, gerade im physischen Körper das vierte, fünfte und siebente Prinzip zu verbinden und sie im sechsten – Budhi – zu verschmelzen. Alle Eigenschaften der Grundenergie, die durch ihr Feuer getrennt umgewandelt werden, müssen harmonisiert werden und in der höchsten Qualität psychischer Energie zum Ausdruck kommen.

       Im Osten wird die Technik der Verbindung zwischen dem niederen und dem höheren Manas Antakarana, Brücke oder Pfad genannt. Durch diesen Pfad übermittelt das niedere Ego dem höheren Ego alle jene Eindrücke und Gedanken, die in ihrer hohen Qualität von unserem ewigen Wesen aufgenommen werden können und bilden so die unsterblichen Aufspeicherungen unseres Kelches.

       Daher befindet sich die wahre Individualität des Menschen in seinem Kausalkörper oder der Geistseele, wohingegen die niedere Seele seine Persönlichkeit darstellt, d. h. den Wechsel irdischer Erscheinungen. Daraus geht klar hervor, daß Seele ein wachsender Begriff ist und der Veränderung unterliegt. Im Zusammenhang mit diesem Thema sende ich Ihnen einige Auszüge aus dem Buch ”Die Grundlagen des Buddhismus”.

       Das persönliche oder niedere Ego oder die menschliche Seele besteht daher aus fünf Prinzipien, wogegen der Geist oder das höhere Ego, die wahre Individualität oder Geistseele, eine Triade des siebenten, sechsten und fünften Prinzips bildet.

       Die Rolle der Persönlichkeit ist in der Entwicklung des Menschen sehr bedeutend, da sie die Grundlage seiner ganzen Evolution ist. Nur diese Erscheinung in verschiedenen Verbindungen und ewig wechselnden Zuständen gibt uns Gelegenheit, uns zu entwickeln, zu verfeinern und alle unsere Energien oder Prinzipien durch die Tätigkeit unserer Nervenzentren zu harmonisieren. So spielt das vierte Prinzip – der Wunsch, der Antrieb zum Leben – eine äußerst wichtige Rolle. Hat man die schweren Prüfungen des Lebens erfolgreich bestanden, dann verwandeln sie sich in unaufhörliches feuriges Streben oder in Willen, ohne den es weder einen Fortschritt noch Schaffenskraft gibt. Schätzen wir daher alle irdischen Offenbarungen, denn sie geben uns Gelegenheit, etwas zu verbessern und den Aufspeicherungen unseres Kelches hinzufügen, der für uns das Amrita sammelt.

       Eine intelligente Person kann Menschen mit großen Aufspeicherungen leicht erkennen. So wird eine starke Individualität immer Sinn für Synthese besitzen, wogegen Geistwesen mit geringer Erfahrung unter begrenzten Spezialisten zu finden sind. Der Geist, der viele Aufspeicherungen im Kelch besitzt, nimmt das Wesen der Dinge leicht auf. Man kann sagen, diese Menschen genießen die Früchte, während andere nur die Blätter zählen, die jedes Jahr wechseln.

       In jede neue Inkarnation bringt der Mensch jene Aufspeicherungen mit, die man als ”Charakter” und ”Neigungen” bezeichnet. Die rein technischen oder physischen Fähigkeiten sind oft erblich und auch das Ergebnis von Karma. Es kann vorkommen, daß ein Geist mit reichen Aufspeicherungen nicht unbedingt aus persönlichen karmischen Gründen, sondern aufgrund von Gruppen- oder Volkskarma in einem unzulänglichen Körper inkarniert, der der Größe seines Geistes nicht entspricht. Solche Nichtübereinstimmung offenbart sich in einer den Menschen oft unverständlichen abnormen Wesensart. Selbst bei Kindern kann sich dies beispielsweise im Schreien und Weinen ohne jeden ersichtlichen Grund äußern; es läßt sich durch die unzulängliche Hülle erklären, die der Geist mitbekommen hat. Diese ”Hülle”, d. i. der Körper des Menschen, wird durch die gesamte Leistung der Menschheit geformt, und da die Menschheit auf einem niederen Niveau verharrt, ist es verständlich, daß hohe Geistwesen es schwer haben, sich in den unzulänglichen Körpern auszudrücken, weshalb es notwendig ist, das allgemeine Niveau der Menschheit zu heben, um hohen Geistwesen die Möglichkeit zu geben, ihrer Größe entsprechend in Erscheinung zu treten. Unter den gegebenen Umständen ist es schwer, den wahren Wert des Menschen zu erkennen. Das Fotografieren der Aura ist daher sehr wichtig, denn es kann die wahre Natur des Menschen enthüllen. Solch ein Beweis würde viele Menschen veranlassen, ihren ”Ausweis” zu verbessern.

       Ja, das Karmagesetz ist sehr komplex; nur ein Archat kann alle seine Handlungen erfassen. Wahrhaftig, alles ist Karma! Das ganze Sein ist eine endlose Kette von Ursachen und Wirkungen, jede Wirkung wird zur Ursache der nächsten Wirkung – und so fort bis in Unendlichkeit. Der Mensch beendet sein Karma auf diesem Planeten, um es in einer anderen Welt fortsetzen zu können; er hat das Ende einer Karmarunde erreicht, wenn die Elemente oder Energien, die sein Wesen formen, jene Vollkommenheit erlangt haben, die auf diesem Planeten möglich ist.

       Hier möchte ich einige Seiten aus Die Grundlagen des Buddhismus von N. Rokotoff zitieren:

       ”Die Vorstellung eines persönlichen Gottes, der die Menschheit erlöst, ist für den Buddhisten absurd. Der Buddhist hat gemäß dem Karmagesetz und dem Verständnis für die Notwendigkeit persönlicher Anstrengungen zu seiner Befreiung seine eigene Auslegung der Gottesvorstellung …

       ”Wer gestaltet unsere Leben? Ist es Içvara – ein persönlicher Schöpfer? Wäre Içvara der Erschaffer, müßten sich alle lebenden Dinge schweigend dieser Zeugungsmacht unterwerfen. Sie wären wie durch die Hand des Töpfers geformte Gefäße; und wäre dem so, wie könnte man dann Treue üben? Wäre die Welt durch Içvara erschaffen worden, dürfte es weder Sorgen noch Unheil, noch Sünde geben; denn sowohl reine als auch unreine Taten müßten von Ihm ausgehen. Wenn nicht, dann gäbe es eine andere Ursache außer Ihm und Er wäre nicht der selbstexistierende Eine. So sieht man, daß die Vorstellung von Içvara sich ausschließt …

       ”Wenn der ewige Wandel in der Existenz des Menschen die Hypothese einer konstanten, unveränderlichen Wesenheit ausschließt, dann kann das Universum, diese Gesamtheit alles Gesamten, ohne die Notwendigkeit oder auch nur Möglichkeit, es in ein unwandelbares und ewiges Sein einzuführen, erklärt werden …

* * *

       ”Zwei Thesen sind von Buddha besonders verurteilt worden: (1) die ewige unwandelbare Seele, und (2) die Auflösung der Seele nach dem Tod. Diese beiden Thesen wurden durch das Gesetz der kausalen Vorstellung widerlegt, das besagt, daß alle Dharmas gleichzeitig Ursache und Wirkung sind. Buddha verneinte das Vorhandensein einer unwandelbaren Seele im Menschen und in allem, weil er im Menschen und im ganzen Universum nur Unbeständigkeit und Übergang sah.

       ”Die These der Fortdauer des Stroms der Phänomene und die Formel der Kausalität der Empfängnis schließen das Vorhandensein der ewigen unveränderlichen Seele aus, sowohl individuell als auch universal.

       ”Diese Bedeutung des Wortes Seele ist dem Buddhisten absolut unzugänglich; denn die Vorstellung, der Mensch sei ein von allen anderen Wesen und vom Universum getrenntes Wesen, kann weder logisch noch wissenschaftlich vertreten werden. ‚In dieser Welt ist niemand und nichts unabhängig. Alles, was besteht, ist abhängig von Ursachen und Bedingungen … Alles hängt von etwas anderem ab, und das, wovon es abhängt, ist nicht wiederum unabhängig.‘ (Bodhicaryavatara, Band 6, S. 26-31).

       ”Buddha lehrte stets, daß es kein unabhängiges Ich und keine vom Ich getrennte Welt gibt. Daher gibt es nichts Unabhängiges und kein getrenntes Leben – alles ist unlösbare Wechselbeziehung. Und wenn es kein abgesondertes Ich gibt, können wir nicht sagen, dies oder jenes gehört mir, und damit ist der Ursprung des Begriffs Eigentum zerstört.

       ”Wenn die Vorstellung einer dauernden und unabhängigen menschlichen Seele abgelehnt werden muß, was gibt dem Menschen dann die Gewißheit einer dauernden Persönlichkeit? Die Antwort wird sein – trishna, oder die Sehnsucht nach dem Sein. Ein Wesen, das Ursachen schuf, für die es verantwortlich ist und das diese Sehnsucht verspürt, wird gemäß seinem Karma wiedergeboren.

       ”Von ein und demselben Komplex von Elementen (Dharmas) werden unbegrenzte Verbindungen von Skandhas von Elementen geboren, die sich zu gegebener Zeit als eine Persönlichkeit offenbaren und nach einer bestimmten Zeitperiode als eine zweite, dritte, vierte – und so fort ad infinitum. Es vollzieht sich keine Seelenwanderung, sondern nur eine endlose Umwandlung eines Komplexes von Dharmas oder Elementen, das bedeutet, eine fortdauernde Wiedergruppierung der Elemente – der Nährboden, der die menschliche Persönlichkeit formt.

       ”Nach der Qualität dieser neuen Verbindung von Skandhas – Elementen der neuen Persönlichkeit – hat der letzte Wunsch vor dem Tod der früheren Persönlichkeit einen großen Einfluß: er weist dem befreiten Strom die Richtung.

       ”Im Buddhismus wird der Mensch als eine Persönlichkeit betrachtet, aufgebaut aus zahlreichen Existenzen, die sich in jeder neuen Erscheinung auf dem irdischen Plan nur teilweise offenbart.

       ”Die individuelle Existenz, die aus einer ganzen Kette von Leben besteht, die ihren Anfang nehmen, sich fortsetzen und enden, um wieder anzufangen bis ins Unendliche, wird mit einem Rad oder einem Jahr von zwölf Monaten verglichen, das sich ständig wiederholt. Die Kette der ”zwölf Nidanas” wird von einer Kette zu einem Lebensrad mit zwölf Speichen. Einmal in Bewegung gesetzt, wird das Lebensrad, das Rad des Gesetzes, nie mehr anhalten: ,Das Rad des Wohltätigen Gesetzes zermalmt in seiner unveränderlichen Drehung unermüdlich die wertlose Spreu und trennt sie vom goldenen Korn. Die Hand des Karma lenkt das Rad, seine Umdrehungen kennzeichnen seinen Herzschlag.‘

       ”Dieser ganze Wandel der Formen oder des Seins führt zu einem Ziel – dem Erreichen des Nirvana, das heißt, der vollen Entwicklung aller im menschlichen Organismus eingelagerten Möglichkeiten. Unabhängig von diesem Ziel lehrt der Buddhismus das Erkennen und Schaffen des Guten, da das Gegenteil absoluter Egoismus wäre und solch eine Spekulation daher von vornherein zur Enttäuschung verurteilt sein müßte. Es heißt: Nirvana ist der Inbegriff der Uneigennützigkeit, der völligen Entsagung alles Persönlichen um der Wahrheit willen. Ein unwissender Mensch erträumt und erstrebt Nirvana, doch ohne eine Spur von Bewußtwerdens seines wahren Wesens. Gutes zu schaffen, um Ergebnisse zu erzielen, oder ein diszipliniertes Leben zu führen, um Befreiung zu erlangen – das ist nicht der von Gotama gewiesene Pfad. Ohne Gedanken an Belohnung oder Errungenschaft muß das Leben durchschritten werden, solch ein Leben ist das Höchste. Den Zustand des Nirvana kann der Mensch in seinem irdischen Leben erlangen …

       ”Buddhismus unterscheidet nicht zwischen physischer und psychischer Welt. Die der Gedankentätigkeit zugeschriebene Wirklichkeit entspricht der durch unsere Sinne erkannten Wirklichkeit der Dinge.

       ”Buddhismus betrachtet alle bestehenden Phänomene als eine Realität. Physisch und psychisch gesehen sind diese Phänomene Dharma, Dinge unserer Erkenntnis. Innerhalb und außerhalb unserer selbst kommen wir nur mit Dharmas in Berührung, da in uns und um uns nichts als Dharma besteht. Das Wort Dharma ist eines der wichtigsten in der buddhistischen Terminologie und am schwierigsten zu übersetzen. Dharma ist ein vielfältiger Faktor, ein Faktor des Bewußtseins, mit einem bestimmten innewohnenden Ausdrucksvermögen. Unsere Organe bereiten uns Gefühlsempfindungen, die sich durch die Wirkung der Erkenntnis in Dharma verwandeln. Vorstellungen, Bildnisse und alle intellektuellen Vorgänge sind vor allem Dharma.

       ”So wie Farbe, Form und Klang dem Auge und dem Ohr gelten, so gelten Dharmas dem Bewußtsein. Das alles besteht für uns durch seine Wirkungen. Die blaue Farbe besteht, weil unsere Sinne blau wahrnehmen.

       ”Es ist üblich, die Lehre Buddhas selbst Dharma zu nennen, da Dharma auch Gesetz bedeutet. Subjektive und objektive Erscheinungen wechseln ständig. Sie sind real; doch ihre Realität besteht nur für Augenblicke, denn alles, was existiert, ist nur Teil einer ewig vor sich gehenden Entwicklung – Dharmas erscheinen nur für einen Moment, um sich schon im nächsten zu wandeln. Diese Doktrin des ewigen Strömens von allem ist für die Lehre ein so grundlegender Wesenszug, daß sie sogar ”Die Theorie augenblicklicher Zerstörung” genannt wurde.

       ”Dharmas (transzendentale Träger bestimmter Eigenschaften) werden in den Strom der ewigen Wandlung hineingezogen. Ihre Verbindungen bestimmen die Besonderheit der Dinge und Individuen. Nur was jenseits von Verbindungen liegt, ist unveränderlich. Die alte Lehre kannte nur einen integralen bedingungslosen und ewigen Begriff: Nirvana.

       ”Jedes Dharma ist eine Ursache, denn jedes Dharma ist Energie. Da diese Energie jedem bewußten Wesen innewohnt, manifestiert sie sich in zweifacher Art: nach außen als die unmittelbare Ursache von Phänomenen; nach innen durch Umwandlung des einen, das sie hervorrief; und dadurch, daß sie die in naher oder ferner Zukunft enthüllten Wirkungen enthält.

       ”Wir sind der Ansicht, daß der physische und psychische Organismus eines Menschen nur die Verbindung von fünf Aggregatgruppen oder Skandhas ist, die sich in physische Eigenschaften unterteilen: Form = Rupa, Gefühl = Vedana, Wahrnehmung = Samjna; Kräfte = Samskara, Bewußtsein = Vijnana. Alle fünf Gruppen sind gleich instabil und dual. Samskara sind die Neigungen und schöpferischen Kräfte, sie erklären die gegenwärtigen Dharmas durch die vergangenen und zeigen an, welches der gegenwärtigen Dharmas jenes der Zukunft vorbereitet.

       ” ,Samskaras sind die aus früheren Empfindungen hinterlassenen Aufspeicherungen, sie verleihen künftigen Empfindungen ihren Duft‘. Aus dieser Erklärung von Samskara (Skandhas) geht klar hervor, daß diese Gruppe der Elemente alle Besonderheiten der anderen Skandhas absorbiert. Vijnana-Skandha und teilweise Samjna verleihen den anderen Verbindungen ihre Färbung oder den Charakter und erscheinen somit als die Ursache, die im Sinne der Bestrebungen und Neigungen das nächste Sein bestimmt.

       ”Rupa ist wie ein Teller, Vedana wie die auf dem Teller servierte Speise, Samjna ist wie die Sauce, Samskara wie der Koch und Vijnana wie der Esser.

       ”Kein Element wird von einem Sein ins andere hinübergetragen, aber keines erreicht ein neues Sein, ohne seine Ursache im früheren Sein gehabt zu haben. Wenn das alte Bewußtsein zu bestehen aufhört, ist es der Tod. Wenn das Bewußtsein zum Sein zurückkehrt, findet eine neue Geburt statt. Man muß verstehen, daß das gegenwärtige Bewußtsein nicht aus dem alten geboren wird, sondern daß sein gegenwärtiger Zustand das Ergebnis der im vorherigen Sein aufgespeicherten Ursachen ist.

       ”Es gibt keine Übertragung von einem Leben zum anderen, sondern einen scheinbaren Widerschein, einen Zusammenhang.

       ”Der Mensch, welcher sät, ist nicht der Schnitter; aber er ist auch kein anderer Mensch.

       ”Der Inhalt des Bewußtseins besteht aus Dharmas. Dharmas sind Gedanken. Diese Gedanken sind genauso wirklich wie die vier Elemente der Sinnesorgane, denn von dem Moment an, wo etwas gedacht wird, besteht es bereits. Der Mensch ist eine Gesamtheit von Verbindungen, und zu jedem Zeitpunkt wird sein Wesen von dem Bestand und der Qualität der Teilchen, aus denen er sich zusammensetzt, bestimmt. Jede Veränderung der Verbindungen macht ihn zu einem neuen Wesen. Doch diese Veränderung schließt nicht den Zusammenhang aus, weil die Bewegung der Skandhas nicht zufällig oder jenseits des Gesetzes erfolgt. In den ewigen Strom von Ebbe und Flut hineingezogen, wechseln die Aggregate entweder in die eine oder andere Richtung, wobei die Zustände jeder neuen Verbindung von der Eigenschaft der vorangegangenen Ursache bestimmt werden. Jede folgende Verbindung erntet die Früchte der vorigen Verbindungen und pflanzt die Saat, die in den zukünftigen Verbindungen Früchte tragen wird.

       ”Der Mensch ist ein Komplex von Verbindungen und gleichzeitig das Bindeglied. Er ist ein Komplex, weil er jeden Moment eine große Anzahl von Skandhas umfaßt; er ist ein Bindeglied, weil zwischen den beiden aufeinanderfolgenden Zuständen Abweichung und Übereinstimmung zugleich besteht. ,Gäbe es keine Differenzierung, würde die Milch nicht gerinnen. Und gäbe es keine Einheit, bestände nicht die Notwendigkeit für das Vorhandensein von Milch, damit sie gerinne.‘

       ”Wir wollen dies durch ein weiteres Beispiel erklären: Physiologisch verändert sich der menschliche Organismus alle sieben Jahre völlig. Und trotzdem ist der Mensch A. mit vierzig Jahren absolut identisch mit dem achtzehnjährigen Jüngling A. Nichtsdestoweniger ist er auf Grund der ständigen Zerstörungen und Erneuerungen seines Körpers und der Veränderungen seines Geistes und Charakters ein anderes Wesen. Der Mensch ist in seinem Alter die gesetzhafte Auswirkung der Gedanken und Taten jedes vorangehenden Stadiums seines Lebens. Ebenso erntet die neue Persönlichkeit – da sie die gleiche Individualität, doch in veränderter Form ist – in einer neuen Verbindung von Skandhas (Elementen) genau die Wirkungen der Gedanken und Taten ihrer vorangegangenen Existenzen.

       ”Das Bewußtsein ist mit seinem ewig wechselnden Inhalt eins! Es gibt kein unveränderlich währendes Ich. Der Embryo muß sterben, damit das Kind geboren wird; das Kind muß sterben, damit der Knabe geboren wird, und der Knabe muß sterben, damit der Jüngling geboren wird.” (Ciksshasamuccaya, Seite 358).

       ”Das menschliche Sein läßt sich mit einem Halsband vergleichen – jede Perle ist eine physische Erscheinung. Doch vielleicht ist es klarer, sich diese Evolution als ein komplexes Gemisch vorzustellen, dem mit jeder neuen Verkörperung auf der irdischen Ebene ein neuer Bestandteil hinzugefügt und dadurch natürlich das ganze Gemisch verändert wird.

       ”Jede neue Erscheinung wird von physischen Elementen begrenzt – rupa-skandha …

       ”Die zum Schaffen eines neuen Seins strebende Energie, die von Karma gelenkt wird, wird trishna – der Antrieb, die Sehnsucht nach dem Sein genannt.

       ”Und wenn dieser Antrieb vom Wesen der Lehre erfüllt ist, erhebt er sich vor uns nicht nur als das größte kosmische Prinzip, sondern auch als das größte und schönste kosmische Geheimnis. Gotama Buddha, der immer wieder auf den ewig dahineilenden Strom unserer Leben hinwies, verwies damit zugleich auf die kosmische Logik und die Unendlichkeit dieses Antriebs, was viele Entsteller der Lehre nicht wahrhaben wollen; doch der feurige Geist des Lehrers konnte unbedeutende Vorstellungen nur verwandeln und sie in die Unendlichkeit erweitern. Und Nirvana ist das Tor, das uns in den Rhythmus des Höchsten einführt, den feurigen, schöpferischen und sich ewig erweiternden Strom unendlichen Seins.

       ”Die Lehre Buddhas ist ein unermüdlicher feuriger Ruf zur Verwirklichung der Schönheit und Einheit der größten Schöpferkraft unendlichen Seins”.

* * *

       Gegenwärtige wissenschaftliche Daten unterstützen die im Buddhismus dargelegte Karma-Theorie. Die gegenwärtige Wissenschaft lehrt, daß jede menschliche Generation die kennzeichnenden Wesenszüge vorhergehender Generationen erbt, nicht nur allgemein, sondern auch im individuellen Fall.

       Die Psychologie stimmt jener intensiven und speziellen Aufmerksamkeit völlig zu, die der Buddhismus dem Denkprozeß, der Erweiterung und Läuterung des Bewußtseins des Schülers zuwendet. Buddha bezeichnet den Gedanken als den primären Faktor in der Evolution, und nach dem Buddhismus sind die psychischen Vorgänge eng verbunden mit den physischen.

       ”Die buddhistische Philosophie kann man als die Analyse getrennter Elemente bezeichnen, die durch die Bildung eines bestimmten individuellen Stroms zur Verbindung führt.” Der individuelle Strom wird von zahlreichen Erscheinungen des Menschen auf Erden, in anderen Ebenen und anderen Welten gespeichert und genährt. Die Wesenszüge in sich aufnehmend schwillt der Strom zu weiteren Möglichkeiten an, verwandelt sich und bleibt doch ewig in sich abgeschlossen. Wahre Individualität, wahre Unsterblichkeit umfaßt die Verwirklichung des wahren Ich, das von zahlreichen Verbindungen der menschlichen Erscheinungen aufgebaut wird. Im Buddhismus ist der Mensch kein bedauernswerter Pygmäe, als den ihn die westliche Vorstellung hinstellt, sondern Herr der Welten. Als Teil des Kosmos ist er gleich diesem unbegrenzt in seinen Möglichkeiten …

18. Juni 1935

       Ich freute mich sehr über Ihren Brief. Was kann es Schöneres geben als das unendliche Gefühl der Liebe zum Großen Bildnis des Lehrers! In der Tat, diese Flamme nährt uns und trägt uns sicher über jeden Abgrund. Für das in Liebe entflammte Herz gibt es keine Schranken. Daher begrüße ich jenes mächtige Echo des Herzens in Ihnen so sehr. Folgen Sie diesem schönen und kürzesten Pfad. Zur rechten Zeit werden sich die notwendigen Offenbarungen einstellen. Doch seien Sie nicht enttäuscht, falls Sie noch nicht die in der Lehre erwähnten bestimmten Zeichen wahrgenommen haben. Sie sollten daran denken, daß jetzt die Kräfte des Lichts mit denen der Finsternis die härteste Schlacht ausfechten. Aus diesem Grund werden die Erscheinungen der Feinstofflichen Welt verzögert. Man sollte daher äußerst vorsichtig sein, daß das Herz nicht zu sehr belastet wird, da die Atmosphäre der Erde und selbst die nächsten feinstofflichen Sphären vergiftet sind. So sind die Kräfte des Lichts immer auf vieles bedacht, vor allem auf den Zustand des menschlichen Organismus. Die Annäherung an eine Person erfolgt daher in einer geeigneten und für die Gesundheit günstigen Zeit. In der Prüfungszeit ist es lebensnotwendig, inmitten der Finsternis zur Sicherheit seine ”Lampe” mitzuführen. In den östlichen Lehren heißt es: ”Wahrlich, die Kali Yuga (finstere Epoche) bietet uns die Möglichkeit, uns dem Licht schneller zu nähern. Alle Schwierigkeiten sind Möglichkeiten, und ein erreichter Sieg ist eine Stufe im Aufstieg.”

       Das Thema, das Sie anschneiden, ist sehr wichtig. Es ist ausgezeichnet, daß Sie die Frage des Zustandes nach dem Tod im Geist der Lehre beleuchtet haben. Dieser Gedanke muß durch plötzliche, aber vorsichtige Berührung geweckt werden. Keinesfalls widerspricht wahres Christentum den Lehren des Ostens und der Lehre der Lebendigen Ethik.

       Es ist mir bewußt, daß Sie die Tendenz zum Nationalismus und sogar Chauvinismus bedenken müssen. Manchmal muß der wachsende junge Baum durch eine Einfriedung geschützt werden, wobei die Vorkehrung so zu treffen ist, daß die Umzäunung nicht zu eng ist, damit sie die normale Entwicklung des Bäumchens nicht behindert. Man muß es zur rechten Zeit freilegen; und diese Übergangszeit wollen wir geduldig abwarten. Die Lehre der Lebendigen Ethik ist durch keine Nationalität geprägt und kann daher überall und zu allen Zeiten befolgt werden. Es ist aber wichtig, die dadurch von neuem auftauchenden Fragen des Lebens und der unveränderlichen Gesetze des Seins richtig auszulegen und zu vermitteln. Aber auch hier kann nur das unvoreingenommene und aufgeschlossene Bewußtsein die Weite des neuen Weltausblickes in sich aufnehmen. Wirken Sie daher nach den Möglichkeiten der Zuhörer. Befolgen Sie in allem die Entsprechung, das große herrschende Gesetz des Universums. Zwingen Sie das Bewußtsein der Menschen, die an Sie herantreten, nicht. Ich weiß, wie schwer es ist, jedem entsprechend seinem Bewußtsein zu geben. Ich weiß, wie das Herz danach verlangt, seinen Reichtum auszuteilen und die Freude weiter Weltenschau zu vermitteln. Doch im Ausstreuen der Saatkörner müssen wir sehr weise vorgehen.

       Ich begrüße Ihren Gedanken und den Ihrer Freunde, eine Zeitschrift herauszubringen. Bemühen Sie sich, sie populär und anregend zu gestalten. Von den Themen aus der Lehre der Lebendigen Ethik könnten Sie vielleicht für das Gebiet der Feinstofflichen Welt weites Interesse wecken. Wahrlich, alle fortschrittlichen Länder bemühen sich, wissenschaftlich an die psychischen und parapsychischen Erscheinungen heranzutreten. Ich las gerade in der Zeitung, daß an einer Universität in Schweden vor kurzem ein Kurs über Spiritismus eingerichtet wurde. Man erforscht die psychischen Phänomene, die neuerdings so überhand nehmen. In Italien widmet eine der bekanntesten Zeitungen dem Okkultismus eine besondere Spalte. Es wäre lehrreich, wenn Sie in Ihrer Zeitschrift einen Überblick über die Berichte von psychischen Phänomenen der Vergangenheit und der Gegenwart brächten, da diese sich jetzt mehren. Die Menschen könnten von solch offensichtlichen Beweisen viel lernen, und da die meisten Menschen das Geheimnisvolle lieben, könnte das Interesse an weiteren Forschungen geweckt werden. Allerdings, parallel damit muß man auf den Schaden des Mediumismus hinweisen und erklären, welche Vorkehrungen zu treffen sind, um das Medium und auch die ihm Nahestehenden vor der Gefahr der Besessenheit zu schützen. Im Hinblick auf die zunehmenden Fälle von Mediumismus und Besessenheit könnten solche Artikel viel Nutzen bringen.

       Durch Materialaustausch mit anderen Zeitschriften könnten Sie sehr bemerkenswerte Nachrichten sammeln. So viele wissenschaftliche Erforschungen der Gegenwart bringen uns nah an die Grenzen des Jenseits heran.

* * *

       Nun möchte ich Ihre Fragen beantworten:

       Die göttliche Monade ist in jedem Mineral vorhanden, in jeder Pflanze, in jeder Erscheinung, da es ohne das feurige Korn kein Leben gibt. Beim stufenweisen Aufstieg von einfachen zu komplizierteren Organismen bleibt die Monade oder das Geisteskorn unverändert in ihrer ursprünglichen Ganzheit. Aber die Ausstrahlung dieses Korns verändert sich entsprechend der Bewußtseinserweiterung des Organismus, den das Korn beseelt. Je komplizierter und feiner der Organismus, um so reicher und feiner sind die Ausstrahlungen der Monade.

       Der Intellekt begann seine Entwicklung auf der physischen Ebene in der vierten Wurzelrasse unserer vierten Runde, als die völlige Versenkung in die Materie sich vollzog. Doch den Antrieb zu dieser Entwicklung gaben die Großen Geistwesen, die Söhne und Töchter der Weisheit (die Elohim), die von den höheren Welten kamen und gegen Ende der dritten Rasse inkarnierten. Allerdings entstammten sie der Göttlichen Dynastie Geistiger Lehrer, über deren Bedeutung in den ältesten Mythologien und Legenden viel gesprochen wird. Genaugesagt, Sie vermittelten der Menschheit durch Ihre Inkarnationen und Ihre direkten Nachkommen einen weit feineren Organismus, der auf höhere Schwingungen ansprechbar war. Außerdem entfachte die Berührung mit Ihren hohen feurigen Auren das Feuer jener, die Ihnen nahestanden. Verfolgt man die naturgesetzliche Entwicklung der Menschheit, so sind die meisten Menschen nicht fähig, sich zu vervollkommnen, die sieben Prinzipien oder 49 Feuer zu öffnen, bevor die siebente Rasse in der siebenten Runde erscheint.

       Selbstverständlich schlummern alle diese Prinzipien im Menschen seit seiner Geburt. Gemäß dem evolutionären Gesetz wird auch das fünfte Prinzip (Manas) vor der fünften Runde nicht seine völlige Entwicklung erreichen. Daher sind alle vorzeitig entwickelten Geister (auf der geistigen Ebene) in unserer Rasse außergewöhnliche Wesenheiten; es sind jene, die von den Großen Lehrern ”Menschen der fünften Runde” genannt werden. Auch in der kommenden siebenten Rasse unserer vierten Runde, wenn unsere vier niederen Prinzipien bereits voll entwickelt sind, wird das Prinzip des Manas nur teilweise entwickelt sein. Jedoch diese Beschränkung betrifft nur die geistige Entwicklung oder die höhere Intelligenz. Haben Sie immer den Unterschied zwischen dem höchsten Manas oder dem geistigen Aspekt und dem Kama-Manas oder Intellekt im Auge. So wurde die Entwicklung des Intellekts (Kama-Manas) in der vierten Wurzelrasse unserer Runde erreicht.

       Auch die Behauptung, daß die göttliche Monade sich nicht im Menschen befindet, ist bis zu einem gewissen Grad richtig, weil das siebente und das sechste Prinzip das sogenannte Magnetfeld oder aurische Ei bilden. So kann man von der Weite der Ausstrahlung der Aura auf den hohen Grad und die Qualität des Geistes schließen. Aus diesem Grund ist es so wichtig, die Forschungen über das Festhalten und das Photographieren der Aura zu beschleunigen. Solch ein Schnappschuß wäre wie ein echter Ausweis eines Menschen!

       Es ist äußerst wichtig, das Bewußtsein der Menschheit zu heben. Welch eine Errungenschaft wäre es, das Bewußtsein der besten Menschen allmählich für die Notwendigkeit zu wecken, die Quellen des Christentums zu verfolgen, bis zu den frühen Kirchenvätern, die in der Zeit der ersten drei Jahrhunderte nach Christus lebten! Wie schön sind die Lehren des großen Antonius! Mögen Sie in Ihrer verdienstvollen Arbeit durch weises und vorsichtiges Erwecken und Entzünden des Bewußtseins Ihrer Zuhörer erfolgreich sein! Denken Sie immer an den Kanon ”Mit deinem Gott”, d. h. sprechen Sie zu jedem entsprechend seinem Bewußtsein. Das ist besonders schwer! Es heißt: ”Wenn es schon schwierig ist, ein kleines Schwert in eine große Scheide zu stecken, so ist es weit schwerer, ein großes Schwert in eine kleine Scheide zu stecken”.

       Möge der Segen der Kräfte des Lichts Sie bei diesem großen Werk der Klärung der wahren Vermächtnisse begleiten. Vergessen Sie nicht die prophetischen Worte des Heiligen Antonius über den zukünftigen Zustand der Kirche und Klöster aus dem Buch ”Dobrotolubye”.

       ”Und so schreite voran, voran, – ohne zurückzublicken!”

18. Juni 1935

       Ich habe nichts dagegen, wenn meine Briefe mit Zitaten aus den Büchern der LEBENDIGEN ETHIK reinen Seelen, die ein offenes Bewußtsein besitzen, vorgelesen werden. Denn auch mein Herz sehnt sich immer danach, den Schatz mit jedem zu teilen, der ihn zu schätzen weiß. Doch mit dem Verteilen der anvertrauten Saatkörner der Lehre sollte man sehr vorsichtig sein und immer die Weisung befolgen: ”Wer eine wertvolle Formel entdeckt, wird sie nicht zum Fenster hinausschreien, denn der dadurch entstehende Schaden würde den größten Nutzen zunichte machen”. Ich war anfangs selbst zuwenig vorsichtig, und auch jetzt fällt es mir vom Wesen her noch schwer, etwas für mich allein zu behalten. Daher verstehe ich Ihren Wunsch, mit anderen zu teilen und ihnen Freude und Hoffnung zu geben, sehr gut. Doch persönliche Erfahrung und schwarzer Verrat lehren uns allmählich, vorsichtig zu sein. Aber selbst jetzt noch lasse ich diese weise Warnung ”Verstehe es, Anvertrautes zu schützen”, gelegentlich, wenn auch nur teilweise, unbeachtet – eine Warnung, die jedem gegeben wird, der den Pfad der Lehre des Lichts betritt. Die schwierigste Prüfung für mich ist, unter Menschen zu leben, denen man nicht voll trauen kann. Dennoch müssen wir auch hier hindurchschreiten. Man sollte lernen, andere nicht mit übermäßigem Vertrauen zu belasten, aber gleichzeitig vom fürchterlichen Mißtrauen frei zu sein. Das menschliche Wesen ist ein versiegeltes Buch! Wie ein weises Sprichwort sagt: ”Willst Du eine Person kennenlernen, so iß drei Block Salz mit ihr”. Seien Sie daher vorsichtig!

       Man muß bedenken, daß man nach unabänderlichem okkulten Gesetz durch die Annäherung an die Lehre und die Älteren Brüder der Menschheit das wahre Wesen schneller entfaltet. Es kommen bestimmte Wesenszüge zum Vorschein, die sonst vielleicht bis zur nächsten Inkarnation geschlummert hätten. Denken Sie daran, was im ”Kelch des Ostens” gesagt ist: ”Wie der Regenschauer den Fels nicht befruchten kann, so hat die okkulte Lehre auf jenes Wesen keine Wirkung, das nicht aufnahmefähig ist; und wie Wasser in ätzendem Kalk Hitze erzeugt, so erweckt die Lehre jede im Schüler eingelagerte unvermutete innere Kraft.”

       Dies ist ein unabänderliches Gesetz auf okkultem Gebiet; je bestrebter und aufrichtiger der Aspirant und je mehr er die Bedeutung seiner Aufgabe erkennt, um so stärker ist die Wirkung dieses Gesetzes.

       Das alte okkulte Axiom ”Erkenne dich selbst” muß jedem Schüler vertraut sein. Doch nur wenige verstehen die wahre Bedeutung dieses weisen Orakels von Delphi. All dies schreibe ich Ihnen, um zu erklären, warum manche, die sich der Lehre nähern, plötzlich bestimmte Besonderheiten an den Tag legen. Ich möchte, daß Sie gut gewappnet sind. In gewissem Maß erklärt dieses Gesetz, warum jedes erleuchtete Unternehmen so viele Verräter anzieht. Der freie Wille des Menschen ist die höchste göttliche Gabe, doch das verpflichtet, sie wirklich göttlich zu nutzen! Ich schreibe darüber, weil meine Seele erst kürzlich durch einen Verrat verletzt wurde. Doch wie es in der Lehre heißt: ”Wir müssen es lernen, mit dem Verräter in einem Zelt zu schlafen”. Wahrlich, man muß sein Herz stählen und lernen, mit seinem Vertrauen nicht das rechte Maß zu überschreiten. Nehmen Sie dies als einen freundschaftlichen Rat an, und wie Sie sehen, einen Rat aus Erfahrung. –

       Nun zu Ihren Fragen. Natürlich ist die MUTTER DER WELT das Haupt der Großen Hierarchie des Lichts unseres Planeten. Lesen Sie in den ”Kryptogrammen des Orients” die Schilderung über die MUTTER DER WELT und fassen Sie sie als die höchste Wirklichkeit auf. Hinter jedem Symbol steht eine Hohe Individualität, und jedes Symbol verbirgt eine große Wirklichkeit. Jede Große Individualität hat Ihre Stellvertreter, die Ihrem Strahl am nächsten stehen, und manchmal inkarniert eine dieser Großen Individualitäten selbst – daher der Begriff Avatar.

       So kann auch die MUTTER DES UNIVERSUMS oder des geoffenbarten Kosmos als eine der Gestalten der Heiligen Dreieinigkeit angenommen werden. Es gibt wirklich keine Religion, ausgenommen das spätere kirchliche Christentum, in der das Weibliche Element nicht in den höchsten Daseinsbereichen vertreten wäre. So sahen auch die Gnostiker in dem Heiligen Geist das Weibliche Element. In den ältesten Lehren betrachtete man die geoffenbarte Dreieinigkeit von Vater, Mutter und Sohn als eine Emanation der höchsten ewig verborgenen Ursache und diese wiederum als die Ursachenlose Ursache.

       Die Ursachenlose Ursache ist das Parabrahman der Inder. Doch Parabrahman ist kein persönlicher Gott. Es ist das ”ES” der Vedantisten. Parabrahman ist einfach die Wirklichkeit, die kein Äquivalent besitzt – das Absolute, oder eher der unbegrenzte abstrakte Raum, der den potentiellen Raum, auch Aditi genannt, umfaßt.

       Genaugesagt, die erste Differenzierung in den periodischen Offenbarungen der ewigen Natur – geschlechtslos und unbegrenzt – ist Aditi im ”ES”, oder der potentielle Raum innerhalb des abstrakten Raumes. In seiner nächsten Manifestation erscheint es als die göttliche unbefleckte Mutter-Natur innerhalb der allumfassenden absoluten Unbegrenztheit. So wird der Raum als ”Mutter” bezeichnet, bis seine kosmische Tätigkeit beginnt, und als Vater-Mutter im ersten Stadium des Erwachens.

       In den Alten Lehren heißt es ”Im Anfang, bevor die Mutter zu Vater-Mutter wurde, bewegte sich in der Unbegrenztheit der Feurige Drache …

       ”So bedeutet der Begriff Ain Suph in der Kabbala Raum – Dunkelheit. Und daraus geht zu gegebener Zeit Sephira hervor, das Lebenselement. Wenn sich Sephira als wirkende Kraft offenbart, wird dieses Element zum Schöpfer, zum Männlichen Element. Daher ist es der Androgyne. Es ist das Aditi (Vater-Mutter) der indischen Kosmogonie und der Heiligen Lehren. So ist Dunkelheit Vater-Mutter; Licht ist ihr Sohn. Dunkelheit ist der ewige Schoß, in dem die Quelle des Lichts erscheint und vergeht …

       ”Vater und Mutter sind das männliche und das weibliche Prinzip in der WURZEL-NATUR oder die entgegengesetzten Pole in allen Dingen, auf jeder Ebene des Kosmos. Sie sind Geist und Substanz, ihr Ergebnis ist der Sohn …

       ”Wenn sich daher die Mutter aus ihrem undifferenzierten Zustand erhebt, so wird sie zur unbefleckten Jungfrau, die das Universelle Mysterium ziert (ES), aber frei von Empfängnis ist. Daher rührt die Vorstellung der Unbefleckten Empfängnis: Sie läßt aus sich Ihren Gatten ausströmen. So stößt man in den östlichen Religionen oft auf die allen höchsten Göttern zugeordnete Begriffsbestimmung ‚Der Gemahl Seiner Mutter‘ und ‚Der Sohn der Unbefleckten Empfängnis‘. In jedem Religionssystem verschmolzen die Götter ihren Auftrag als Vater, Sohn und Gatte in nur eine Funktion. In jeder Kosmogonie wurde der Sohn als der Gemahl Seiner Mutter betrachtet. Der Titel des Höchsten ägyptischen Gottes – Amon – ist ‚Der Gemahl Seiner Mutter‘.

       ”Wenn sich der Sohn von der Mutter trennt, wird er zum Vater. Daher ist gesagt, daß in der Welt des Seins der Eine Punkt oder Strahl den Jungfräulichen Schoß des Kosmos befruchtet und die unbefleckte Mutter die Form gebiert, die alle Formen schafft. Das indische Prajapati (Brahma) wird ‚das erste erzeugende Männliche Element‘ genannt und ,Der Gemahl Seiner Mutter‘.”

       Ich will aus der Geheimlehre die Beschreibung von Pralaya zitieren, wie sie in dem Buch Stanzen des Dzyan – der Grundlage der Geheimlehre – zu finden ist.

       Stanze I. ”Die ewige Mutter, gehüllt in Ihre ewig-unsichtbaren Gewänder, hatte wieder einmal für Sieben Ewigkeiten geschlummert …

       ”Die ‚Mutter‘, der Raum, ist die ewige, allgegenwärtige Ursache von allem – die unbegreifliche Gottheit, deren ‚Unsichtbare Gewänder‘ die mystische Wurzel aller Materie und des Weltenalls sind. Raum ist das ewige Ding, dessen Vorstellung uns am leichtesten gelingt, unbeweglich in seiner Abstraktion und durch die An- oder Abwesenheit eines in ihm enthaltenen objektiven Universums unbeeinflußt. Er ist ohne Dimension, in jedem Sinne, und existiert durch sich selbst. Geist ist die erste Differenzierung von ”ES”, der Ursachenlosen Ursache von Geist und Materie. Er ist nach der Lehre des Esoterischen Katechismus weder grenzenlose Leere noch bedingte Fülle, sondern beides. Er war und wird immer sein.

       ”So stehen die Gewänder für die undifferenzierte Kosmische Materie als Ding an sich. Es ist nicht Stoff, wie wir ihn kennen, sondern die geistige Essenz der Materie, und es ist ebenso ewig und sogar eins mit dem Raum in seiner abstrakten Bedeutung. Wurzel-Natur ist auch die Quelle der subtilen unsichtbaren Eigenschaften in der sichtbaren Materie. Sie ist sozusagen die Seele des Einen Unendlichen Geistes. Die Inder nennen sie Mulaprakriti und sagen, sie sei die uranfängliche Substanz, welche die Basis der Upadhi oder des Vehikels eines jeden Phänomens ist, sei es physisch, psychisch oder geistig. Sie ist die Quelle, aus der Akasha ausstrahlt.”

       Aus diesem Auszug aus der Geheimlehre können Sie ersehen, welche Bedeutung dem Weiblichen Element in den alten Kosmogonien beigemessen wurde. Nur die krasse Unwissenheit des Mittelalters konnte das Weibliche Element aus dem Aufbau des Seins verbannen. Wahrlich, in ihrem Ursprung sind beide Elemente, das Männliche und das Weibliche, vereint, eines kann ohne das andere nicht bestehen. Eine Herabsetzung des einen kommt der Herabsetzung des anderen gleich.

       Und so gibt es nur eine Substanz, ein Element – ob Sie es Gott, Feuer, ES oder Parabrahman, Ain-Suph, Raum, Absolutes oder wie sonst nennen – das im Potential beide Pole besitzt oder das Androgyn ist.

       Ich fühle, daß ich noch einen weiteren Auszug aus der Geheimlehre zitieren muß:

       ”Seit Anbeginn des menschlichen Erbes, beim ersten Erscheinen der Erbauer der Erdkugel, auf der die Menschheit lebt, wurde die nichtgeoffenbarte Gottheit erkannt und unter ihrem einzigen philosophischen Aspekt betrachtet – als Universelle Bewegung, als Schauer des schöpferischen Atems der Natur. Der Okkultismus faßt die Eine Existenz folgendermaßen zusammen: ‚Gottheit ist ein geheimes, lebendiges (der sich bewegendes) Feuer, und die ewigen Zeugen dieser ungesehenen Gegenwart sind Licht, Wärme, Feuchtigkeit‘ – eine Dreiheit, die jede Erscheinung in der Natur potentiell in sich einschließt und verursacht. Intrakosmische Bewegung ist ewig und unaufhörlich; kosmische Bewegung – die sichtbare oder die der Wahrnehmung unterworfene – ist endlich und periodisch. Als ewige Abstraktion ist sie das Ewig-Gegenwärtige, als Manifestation dagegen ist sie endlich: in der auf uns gerichteten und in der entgegengesetzten Richtung; und beide ergeben das Alpha und Omega des aufeinanderfolgenden Wiederaufbaus.

       ”Kosmos – als Ding an sich – hat nichts mit den kausalen Beziehungen der Erscheinungswelt zu tun. Nur mit Bezug auf die intrakosmische Seele – den idealen Kosmos in dem unveränderlichen göttlichen Gedanken – können wir sagen: Sie hatte niemals einen Anfang noch wird sie je ein Ende haben. Mit Bezug auf ihren Körper oder auf kosmische Organisation kann jedoch nicht gesagt werden, sie hätte einen ersten Aufbau gehabt, noch daß es je einen letzten geben würde, doch kann bei jedem neuen Manvatara die Organisation als die erste und letzte ihrer Art betrachtet werden – eben weil sie jedesmal auf einer höheren Ebene ins Dasein tritt.”

* * *

       Wir können sagen, daß die Dreiheit Atma, Budhi und Manas, oder Geist, Seele und Intelligenz ist – oder Geist, Substanz und Licht – oder Geist, Materie und Kraft und so fort.

* * *

       Sie sollten nicht zögern, mir Fragen zu stellen. Ich freue mich immer, gewisse Hinweise geben zu können, obwohl es für mich schwer ist, sie im Detail zu erklären, da ich keine Hilfe und doch viel zu schreiben habe. Doch abgesehen davon, sind Hinweise von großem Wert, weil sie dem Denken Antrieb geben.

* * *

       Und nun zu etwas anderem. Seien Sie nicht enttäuscht, wenn die Zeichen seltener werden und nicht so deutlich erscheinen; denken Sie dafür an das bedrohliche Harmagedon und die damit zusammenhängende Vergiftung der ganzen Atmosphäre. Wahrlich, nicht nur die uns unmittelbar umgebenden Schichten sind durch Verwesung verseucht, sondern auch die entfernten Sphären der Feinstofflichen Welt. Alle höheren Erscheinungen können in solch einer Zeit den Organismus ernsthaft bedrohen. Die Kräfte des Lichts wirken in völliger Übereinstimmung mit den gegebenen Bedingungen und den Kräften unseres Organismus. Außerdem tritt nach jedem Sieg eine Ruhezeit ein, eine Art Erholung, damit der Organismus alles, was er empfangen hat, verarbeitet und sich für weitere Wahrnehmungen und Verfeinerungen vorbereitet. Die von Ihnen beschriebenen Symptome sind für das teilweise Öffnen der Zentren sehr charakteristisch. Daher rate ich Ihnen, sehr auf Ihre Gesundheit zu achten. Vor allem überarbeiten Sie sich nicht und hüten Sie sich vor Erkältung. Dann empfehle ich Ihnen, zweimal täglich Soda-Bikarbonat zu nehmen. Denken Sie daran, daß es für Schmerzen im unteren Brustteil kein besseres Heilmittel gibt als Bikarbonat. Soda-Bikarbonat ist im allgemeinen ein überaus gesundes Präparat. Soda-Bikarbonat ist ein Vorbeugungsmittel gegen alle Krankheiten, einschließlich Krebs. Doch Sie müssen es täglich und regelmäßig einnehmen. Es hilft besonders, die Schmerzen und Störungen im Solarplexus zu lindern. Bei Entzündungen und Brennen in der Kehle ist heiße Milch (aber nicht gekocht) mit Soda sehr hilfreich. Für gewöhnlich nimmt man davon einen Kaffeelöffel auf ein Glas. Sie sollten jedem Soda empfehlen. Achten Sie auch darauf, daß der Magen nicht überladen und der Darm entleert wird. Trinken Sie zweimal täglich Baldriantee oder nehmen Sie 30 bis 40 Tropfen Baldriantinktur. Natriumbikarbonat ist absolut unentbehrlich bei Zentrenentwicklung. Es entlädt die feurigen Energien und verhindert Zentrenbrand.

       Besonders freute ich mich zu hören, daß Sie im Herzen feurige Ströme verspüren. Beachten Sie deshalb jede Erscheinung und machen Sie es sich zur Gewohnheit, alle Empfindungen und Visionen täglich und genauestens niederzuschreiben. Solche Notizen können zu einer sehr wertvollen Hilfe beim Studium der feinsten Energien werden. Und nun viel Erfolg! Schaffen, schreiben und beobachten Sie! Und darüber hinaus schätzen Sie das göttliche Feuer der Liebe zum großen Bildnis DESSEN, DER uns den Pfad des Lichts, der Schönheit und der Freude wies.

24. Juni 1935

       Eine Volksweisheit lautet: ”Rechtschaffene Arbeit erbaut uns keinen Marmorpalast”. Wirklich, große Schönheit liegt in dem Wert eigener Anstrengung. Man sollte die großen Vermächtnisse durch eigene Arbeit im Leben befolgen. Zudem sollte man nicht nur vom Überfluß, sondern alles abgeben und nur das Notwendigste für sich behalten.

       Gäbe es nicht Schwierigkeiten und Verrat, worin lägen die Errungenschaften und der Dienst am Licht? Die Vertrauten und Schüler der Weißen Bruderschaft haben nie ein so wohlhabendes und luxuriöses Leben geführt wie der Magier in den Büchern von Kryjanovsky! Der Pfad der Bequemlichkeit und des Luxus ist von keiner Lehre gutgeheißen worden.

       Immer wurde der Mittelweg, aber unter Beachtung hoher Qualität gewiesen. Das besagt, daß ein Schüler nicht zu darben braucht und einen angemessenen Wohlstand haben kann, entsprechend der ihm verliehenen Aufgabe; doch sollte er jederzeit, wenn erforderlich, seinen Komfort aufgeben können. Die materiellen Hindernisse auf dem Pfad des Dienens sind indes nicht die schlimmsten, obwohl die Finsteren sehr gerne an diesen verwundbaren Stellen angreifen und dadurch deren verborgene Eigenschaften hervorholen. Schwieriger ist der Kampf gegen das getrübte menschliche Bewußtsein. Die menschliche Natur ist unberechenbar, und es ist fürchterlich, von jeder Art von Verrätern umgeben zu sein, deren Zahl in der Zeit, wo es so viele Besessene gibt, sehr ansteigt. Noch härter und hartnäckiger ist jedoch der Kampf gegen unsere eigenen Gewohnheiten und Unzulänglichkeiten. Nach unabänderlichem okkulten Gesetz offenbart sich unsere wahre Natur; und Eigenschaften, die andernfalls bis zu späteren Inkarnationen verborgen geblieben wären, treten hervor. Man sollte öfter die letzten Briefe im ”Kelch des Orients” lesen. Apropos, dazu will ich hier eine Seite aus einer der Schriften von H. P. Blavatsky anführen, betitelt: ”Warnung”:

       ”Es gibt im Okkultismus ein seltsames Gesetz, das sich durch Erfahrung in vielen Tausenden von Jahren bestätigte. Auch in den Jahren seit Bestehen der Theosophischen Gesellschaft ist dieses Gesetz in jedem Fall unbestreitbar bestätigt worden. Es ist dies, daß in dem Moment, wo jemand den Pfad der Prüfung betritt, sich bestimmte okkulte Auswirkungen unvermeidlich offenbaren. Was bisher schlummerte, tritt hervor: Laster, Gewohnheiten sowie verborgene Wünsche und Eigenschaften – gute, schlechte und zwiespältige.

       ”Wenn beispielsweise eine Person – infolge von Atavismus oder karmischem Erbe – eitel, sinnlich oder ehrgeizig ist, so werden alle diese Eigenschaften unvermeidlich stärker in Erscheinung treten, selbst wenn sie sich bemüht, sie zu verbergen oder zu unterdrücken. Sie werden in jedem Fall unwiderstehlich hervortreten, und man wird sie hundertfach stärker zu bekämpfen haben als zuvor, bis es gelingt, solche Neigungen auszumerzen.

       Ist auf der anderen Seite jemand höflich, großmütig, keusch und beherrscht, oder besitzt er andere schlummernde Tugenden, so wird sich all dies im höchsten Maße offenbaren. (Im Bereich des Okkulten ist das ein unabänderliches Gesetz).

       ”Je ernsthafter und aufrichtiger der Wunsch des Kandidaten und je gründlicher er die Bedeutung seiner Pflicht erkennt, desto stärker ist die Wirkung dieses Gesetzes.

       ”Den alten okkulten Lehrsatz ,Erkenne dich selbst‘ sollte jeder Schüler beherzigen …”

       Ich zitiere dies, damit Sie bedenken, wie oft die Anhänger der Lehre gleichsam ganz unerwartete Besonderheiten ihres Wesens offenbaren: ”Wahrlich, eine Verbindung mit der Quelle des Lichts ist für jeden ein Prüfstein.”

       Und nun etwas anderes. Ist Ihnen nicht bekannt, daß ein aufrichtiger, inbrünstiger Ruf des Herzens und die darauffolgenden Taten wie ein mächtiges Funkgerät wirken und unvermeidlich das Große Herz erreichen? Wenn daher Ihr Freund innig zum Licht bestrebt ist, macht ihn allein diese Tatsache dem Großen Lehrer erkennbar. Nicht, daß ich P. D. in den Augen Ihres Freundes herabsetzen möchte, doch muß ich Ihnen sagen, daß der Unterschied zwischen den Großen Lehrern des Bollwerks im Himalaja und jedem Schüler hier auf Erden ungeheuer groß ist. H. P. Blavatsky pflegte zu sagen, daß ihr Geist nur in mehreren Manvantaren den Grad des Großen Geistes des Herrschers M. erreichen würde. Denken Sie daran, was ich Ihnen über diese Gestalt geschrieben habe! Wahrlich, nur das Höchste ist mit Ihm, diesem Hierarchen, verbunden. Nur die höchsten Begriffe verkörpern sich in diesem Großen Bildnis.

       Natürlich, man kann einem unvorbereiteten Bewußtsein nicht sofort die ganze Wahrheit enthüllen. In den vergangenen Zeitaltern ist der Menschheit nur immer jener Teil des Wissens offenbart worden, den sie fassen konnte. Daher benutzen bis heute die Großen Bildnisse einen grauen Mantel, damit ihr Licht das trübe Bewußtsein nicht blende. Möge sich das Bewußtsein Ihres Freundes allmählich der Wahrheit öffnen. Ich glaube, er ist eine reine Seele. Deshalb sollte sein eigenes Herz entscheiden und dabei vom inneren Licht seiner Aufspeicherungen im Kelch erleuchtet werden. Zwingen Sie ihn nicht; möge er seinen eigenen Pfad wählen. In diesem geistigen Kampf muß er selbst den Sieg erringen. Dazu will ich einen Paragraphen aus der Lehre anführen:

       ”Hütet euch vor Aufdringlichkeit, nicht nur in bezug auf fremde Einladungen, sondern seid auf der Hut, daß ihr selbst nicht missioniert. Es ist unmöglich, den Schaden durch Missionare zu ermessen, und man kann nicht ohne Verachtung zusehen, wie die Lehre auf dem Markt mit einem Rabatt verkauft wird. Lernet verstehen, daß die Lehre, im Bewußtsein ihrer Bedeutung, sich niemals auf dem Markt zur Schau stellen wird.” (Gemeinschaft, § 129)

       Erinnern Sie sich, daß Sie einmal meinten, man sollte alle bestehenden geistigen Gruppen vereinen? Doch jetzt sehen Sie aus persönlicher Erfahrung, daß dies im Hinblick auf den gegenwärtigen Zustand der Menschen nicht möglich ist. Die menschliche Natur ist selbst zur einfachsten Zusammenarbeit noch nicht bereit! Das haben wir selbst erfahren, und daher werden wir nie jemanden auffordern oder nötigen. Nimmt jedoch jemand unser Zeichen wahr, so sind wir verpflichtet, auf der Hut zu sein und uns zu vergewissern, daß unter diesem Zeichen nicht etwas unseren Grundsätzen und Regeln völlig Entgegensetztes herangetragen wird.

       Darüber hinaus zerstört Übereifer die von den Gründern und Lehrern gelegten Grundlagen. So war es und so ist es. Daher würde ich den Geschichten der von Ihnen erwähnten Person bezüglich der den Abtrünnigen zugemessenen Bestrafung keinen Glauben schenken, denn das wäre reinste schwarze Magie und widerspräche entschieden dem Geist der Broschüre, die Sie mir zusandten.

       Zweifellos gibt es Fälle, wo ein finsterer Geist einem reinen Geist böse Gedanken zusendet und den Rückschlag erhält. Doch in solch einem Fall bestraft er sich selbst, denn was kann er tun, wenn die leuchtende Aura die ausgesandten giftigen Gase nicht aufnimmt? Wir und unsere Freunde waren oftmals Zeuge solcher Rückschläge, doch ich kann Ihnen versichern, daß hier nicht der leiseste Wunsch vorhanden war, zurückzuschlagen. Verzeihen ist eine erste Eigenschaft des wahren Lehrers. Er kann empört sein, doch er wird nie bewußt einen tödlichen Pfeil senden. Nur der Große Lehrer, der Herr des Karma, hat das Recht, bewußt einen unheilvollen Strahl zu senden. So ist der Lehrer eine Sache und die Anhänger sind etwas ganz anderes!

       Behandeln wir daher solche Geschichten mit Vorsicht. Wohl kann der böse Wille einer starken Person Schaden zufügen, wenn eine Aura durch Angst oder Krankheit geschwächt ist. Das beste Mittel gegen solche giftigen Pfeile ist die Hingabe an die Grundlagen der Lehre, Liebe zur Hierarchie und völlige Gelassenheit. Wir müssen uns an den Gedanken gewöhnen, daß wir in einer giftigen Atmosphäre leben, in der unzählige giftige Pfeile herumfliegen und daß nur unsere herzliche Verbindung mit den Kräften des Lichts uns helfen kann, das Sperrnetz zu festigen. Doch wenn wir die Macht der Hierarchie bezweifeln oder Kleinmut gegenüber dem Feind zeigen, lähmen wir augenblicklich unsere Ausstrahlungen und zerstören so das von ihnen gewobene Schutznetz.

* * *

       Ich sympathisiere aufrichtig mit Ihrem Freund und hoffe, daß er eine bestrebte Seele ist, die den Ernst und die Bedeutung der ihr auferlegten Prüfung begreifen kann. Daher bitte ich Sie, ihm nicht zu verhehlen, daß der Pfad des Dienens, der Pfad der Errungenschaft, sehr, sehr schwierig ist. Wer diesen Pfad wählt, sollte zu jeder Selbstaufopferung bereit sein. Die Hindernisse und Schwierigkeiten wachsen im Verhältnis zum Fortschritt auf dem Pfad. Es ist wahr, ein Schüler erwirbt dabei mehr Wissen, doch das bringt ihm im Leben nicht viel Freude, da es niemanden gibt, dem er sich mitteilen kann. Im Verhältnis zum Wissen wächst die Verantwortung. Darüber hinaus erregt dieses Wissen Neid und führt zu Verrat in seiner Umgebung. Die uns umgebende Finsternis ist wahrhaft erschütternd.

       Hart ist der Pfad der Errungenschaft; und solange kein neuer Antrieb das menschliche Bewußtsein zur nächsten Stufe bewegt, kann er nicht erleichtert werden. Es gibt harte Zeiten auf dem Pfad, wenn der Schüler sich selbst überlassen ist; wenn er selbständig seine ganze Wachsamkeit und seine Fähigkeiten entfalten muß; wenn sogar die Stimme des Lehrers vorübergehend verstummt. Doch das Herz eines wahren Schülers ist voller Freude und Streben, denn er weiß, daß dies eine neue Stufe ist. Die Freude an der Erfüllung seiner Pflichten ist in ihm, und mit der ganzen Kraft seines Geistes ist er bestrebt, die Aufgabe noch vollkommener zu erfüllen. Wahrlich, darin liegt seine ganze Freude!

       Hart ist der Pfad des Dienens. Dennoch werden jene, denen sich die Möglichkeit bot, den Pfad des Dienens zu betreten, diese Krone nicht für weltliche Schätze hergeben. Denn unvergleichlich mit anderen Freuden ist jene der geistigen Erhebung, die dem wahren Schüler zuteil wird. Je reicher seine früheren Aufspeicherungen, um so schöner seine Errungenschaft. Sicherlich, es gibt viele Motten und Schmetterlinge um die Lehre, doch ihr Nutzen für die Lehre sowie für sie selbst steht im Verhältnis zu ihrem Geflatter. Wenn ich zu Ihnen und Ihrem Freund so offen spreche, so deshalb, weil ich zu reifen Bewußtseinen zu sprechen hoffe, die Schwierigkeiten nicht fürchten. Wahrlich, dem erfahrenen Kämpfer erbebt das Herz vor jedem neuen Kampf, doch er ist mit Begeisterung erfüllt; mögen daher ihre Herzen vor der Möglichkeit neuer Errungenschaften und des Sieges von der neuen Lichtflamme des Abhidharma erfüllt sein. Möge Ihr Freund dies aber nicht als drängenden Ruf betrachten, sondern eher als herzliche Warnung.

       Wer ist zu der großen Tat der Selbstaufopferung bereit? Wahrhaftig, nur wer sich selbst ganz schenkt, wird geschätzt, und nur dies führt zum Ziel.

       Ich bin ganz und gar nicht überrascht darüber, daß einige Intellektuelle aus Ihrem Kreis die Feurige Welt nicht verstehen können. War denn sogenannte Intellektualität je ein Zeichen wahren Wissens oder von Aufspeicherungen im Kelch? Intellekt ist nicht das höhere Manas. Die höhere Intelligenz ist Weisheit, das Ergebnis langjähriger Aufspeicherungen. Man kann einen ausgezeichneten Intellekt besitzen und trotzdem nicht die große Synthese, die uns das wahre Wesen der Dinge erkennen läßt. Oft brillieren ausgesprochene Spezialisten intellektuell, doch offenbaren sie einen völligen Mangel an Synthese. Gewiß, die meisten wahren ”Empfänger” der Lehre mögen zwar nicht mehr in den Windeln liegen, sind aber noch zu jung, um lesen zu können. Wir gehören zur scheidenden fünften Rasse und wachen über die Geburt der kommenden Lichtträger der sechsten Rasse.

       Und jetzt will ich Ihnen ganz kurz antworten:

       Abhidharma ist buddhistische Metaphysik. In diesem Fall bedeutet das Licht Abhidharma das höchste Bewußtsein: Budhi-Manas.

       Dukkar, die vieläugige und vielarmige, ist eine tibetanische Göttin des Weiblichen Elements. Sie ist ein Äquivalent der indischen Kali und Lakschmi, das Symbol der MUTTER DER WELT. Auf tibetanischen Thangkas wird sie gewöhnlich unter einem Regenschirm dargestellt, was bedeutet, daß Sie Tropfen des Höchsten Segens sammelt.

       Die Strahlen der Schultern sind die Ausstrahlungen der Schulterzentren. Jedes Nervenzentrum ist ein Strahlenherd.

       Die Energie Kamaduro entspricht dem unterirdischen Feuer. Uraeus ist ein heiliges Symbol, das den Kopf einer Kobra darstellt. Er wurde von den Eingeweihten und Pharaonen Ägyptens als Kopfbedeckung getragen und schmückt auch die Götter Indiens. Daher gilt Uraeus als Symbol der Einweihung und verborgenen Weisheit. Die Schlange war immer ein Symbol der Weisheit, und die alten Weisen Indiens nannte man Nagas. ”Nag” bedeutet Schlange. Uraeus bedeutet auch kosmisches Feuer.

       Die Verdichtung des Astrals ist die Verdichtung des feinstofflichen Körpers, fast bis zum physischen Zustand; das ist der Zustand der meisten Adepten im Himalaja. Ausführliche Erklärungen über die Verdichtung kann ich Ihnen nicht geben, da es mir nicht erlaubt ist.

24. Juni 1935

       Ihr Brief erreichte unsere Berge, und ich will versuchen, Ihre Fragen soweit als möglich zu beantworten. Doch bevor ich darangehe, würde ich gerne auch Sie etwas fragen. Glauben Sie nicht, daß es einen besonderen Grund hat, wenn die Bücher der Lebendigen Ethik oft keine fertigen Formeln vorlegen, sondern nur Hinweise geben? Genau so ist es. In den Grundsätzen der Lehre ist die Regel beziehungsweise das Gesetz verankert, ”alles mit menschlichen Händen und Füßen” zu leisten. Diese Formel drückt den vollen Wert selbständiger Errungenschaft aus – diese Art Errungenschaft ist unsere eigene und unveräußerliche.

       Und nun zu Ihren Fragen:

       1.) Die Essenz Moru oder Balu wird aus einer Pflanze hergestellt, die überall an den Berghängen des Himalaja in einer Höhe von 8000 Fuß (ca. 2600 m) und darüber zu finden ist. Sie gehört zur Familie der Rhododendren. In Tibet wird sie zum Räuchern in Tempeln und Heimen verwendet.

       2.) Unter ”Verdichtung des Astrals” sollte man die Verdichtung des feinstofflichen Körpers verstehen, fast bis zum physischen Zustand. Während vieler Jahrhunderte hat die Weiße Bruderschaft in dieser Richtung experimentiert, und jetzt sind wundervolle Ergebnisse erzielt worden. Doch dürfen natürlich keine Einzelheiten über Apparate oder die notwendigen Chemikalien oder Bestandteile veröffentlicht werden, weil dadurch der größte Schaden angerichtet werden könnte. Zu gegebener Zeit wird das Erscheinen solcher verdichteter Körper alle Zweifel über das Vorhandensein der jenseitigen Welten zerstreuen, und so wird ein sichtbares Band mit der feinstofflichen Welt geschaffen werden.

       3.) Der Entwurf des Apparates, der die psychische Energie sammelt, wird dem gelingen, der das karmische Recht dazu besitzt. Das gleiche gilt für die Konstruktion der Apparate, die die Spannung des Raumfeuers messen werden. Selbst wenn wir Ihnen Näheres mitteilten, könnten Sie kaum Nutzen davon haben. Doch jeder hat das Recht zu suchen und zu finden. Wahrlich, Hinweise sind gegeben und sämtliche Entdeckungen sind bereits im Raum festgelegt. Alle diese Apparate werden bereits nicht nur in der Feinstofflichen Welt, sondern auch in der physischen, im Bollwerk der Großen Bruderschaft, verwendet.

       Jeder kann seine Schwingungen verstärken durch Verbindung mit einer bestimmten im Raum vorhandenen Idee und dadurch die sogenannte Erleuchtung erlangen, oder Inspiration – oder wenigstens einen flüchtigen Blick in die gewünschte Richtung.

       4.) Bewußtsein ist die grundlegende Energie, und die psychische Energie ist seine höchste Eigenschaft.

       5.) Die Rhythmen Mahavan und Chotavan sind die Rhythmen des Kosmischen Feuers. Auf einer bestimmten Stufe des Feurigen Yoga beginnt unser Organismus diese Rhythmen, die aus dem Raum kommen, wahrzunehmen und mit ihnen mitzuschwingen. Doch ein Nachsprechen wird, wie alles Mechanische, keine Ergebnisse erzielen. Diese Rhythmen werden nur wirken, wenn man über einen gewissen Vorrat an psychischer Energie verfügt. Ohne Hilfe der psychischen Energie bleibt jeder Rhythmus tot. In diesem Zusammenhang will ich Ihnen einen Paragraphen der Lehre anführen:

       ”Durch geistloses Nachsprechen wird die Lehre zersetzt. Daher muß die Qualität des Rhythmus verstanden werden. Gewiß, im Fundament eines jeden Kristalls ruhen Anziehung und Pulsation. Doch Pulsation, oder anders gesagt Rhythmus, ist die Offenbarung des Lebensprinzips. Daher vermag der gegebene Rhythmus mehr oder minder lebendig oder tot zu sein. Der lebendige Rhythmus, vergeistigt durch die Wirkung des Bewußtseins, wird eine Wechselwirkung von feinen Energien auslösen. Doch der Rhythmus der Lippen erzeugt einen toten Schlag, der die weise Stille stört und nur Schaden anrichtet. Hütet euch vor geistlosem Nachsprechen! Wahrlich, es zersetzt die kostbarsten Edelsteine des Geistes. Wenn seine Aktivität nur auf Furcht oder Habsucht beruhte, dann könnte selbst ein Skelett einen weit nützlicheren Rhythmus von sich geben. Dann wäre der Heerestrommler der erfolgreichste Rhythmiker. Könnte man die Erscheinung der Feuer vom Wedeln eines Hundeschweifs erwarten, der auf einen Knochen hofft? Denket daran, wenn ihr euch mit den feinsten Energien befaßt, wenn ihr beabsichtigt, euch zu nähern und den Beweis des Feuers ins Leben zu rufen.

       ”Als Ich euch mit den Rhythmen des Raumfeuers vertraut machte, so erwartete ich allerdings den Einsatz eines geistigen Bewußtseins und Strebens, frei von niederen Motiven. Schon lange wurde über die zwei Arten von Feuer gesprochen, das schöpferische Feuer und das zerstörende. Während das erste leuchtet, wärmt und erhebt, erzeugt das zweite Asche und versengt. Doch Ich lenkte euch nur zum schöpferischen Feuer hin. Ihr habt an euch gesehen, wie man sich dem Feuer nähern kann, und selbst Tageslicht konnte euch nicht hindern, die Boten des Raumes zu sehen. Und die Sterne wurden mit Zeichen umgeben. Man muß diese feurigen Zeichen hüten und es lernen, die besten Gaben des Bewußtseins zu sammeln.

       Weder der Faustschlag noch Drohungen, sondern der leichtbeschwingte Aufstieg trägt einen zu den Toren! Hütet euch vor alltäglicher Seelenlosigkeit!” (Agni Yoga, § 401)

       Wenn Sie über die gegebene Lehre gründlich nachgedacht haben, so werden Sie erkennen, warum ich Ihre Fragen so kurz beantworte. Die Lehre ist bemüht, vor allem eine hohe Qualität psychischer Energie zu entwickeln, ohne die der kostbarste und feinste Apparat nutzlos wäre. Die Mechanik nähert sich jetzt einer Phase, wo die Bedienung jedes Apparates psychische Energie erfordert, und der Leiter dieser Energie ist der Mensch. Diese Erkenntnis wird Achtung vor den Trägern dieses heiligen Feuers hervorrufen. Diese Menschen wird man als die wahren Schätze eines Landes betrachten.

       Daher kann nur derjenige hoffen, an die Entdeckungen der hilfreichen leitenden Apparate heranzukommen, der über einen entsprechenden Vorrat an psychischer Energie verfügt und mit den Führern des Reservoirs dieser Kraft in Verbindung steht. Aus diesem Grund verlangt die Lehre solche Anstrengungen zur Läuterung und Erweiterung des Bewußtseins und zur Verfeinerung unserer Gefühle; ohne diese Voraussetzungen ist weder die Aufspeicherung der hohen psychischen Energie noch richtige Verbindung möglich.

6. Juli 1935

       Alle, die voller Furcht sind, sollten an diesen Paragraphen aus der Lehre erinnert werden: ”… Erfüllet Unsren Auftrag! Bringt Licht und gebt der Schönheit Raum. Mit Unentschloss’nen erzielt man keinen Fortschritt. Mit Gerümpel ist kein Aufbau möglich. Im Pfeifen kann man sich nicht messen mit dem Zeisig. Verdorb’nes Brot soll man nicht kosten. In einer raucherfüllten Luft kann man nicht atmen, doch für die Schwingen, die in der Morgensonne sich erheben, und für das Rennpferd vor Beginn des Laufes, und für das Lied, das bis zur Mitternacht erklang, ist der neue Tag nicht schrecklich und auch nicht grausam.” (Blätter des Gartens MORYA, Band I, § 228)

       Der feurige Ruf an das neue Bewußtsein, für den neuen Aufbau wird in der Lehre auf vielerlei Art wiederholt. Nur mit einem neuen Verstehen, auf einem neuen Weg und mit erneuertem Geist kann man die Neue Welt betreten. Jetzt findet wahrlich eine große Auslese statt. ”Ich schaffe einen Neuen Himmel und eine Neue Erde, und die alte Welt wird unerwähnt bleiben und keinen Eingang in das Herz finden.”

       Jeder Baumeister muß das ihm zur Verfügung stehende Material kennen. Was verdorben ist oder sich als ungeeignet erweist, sollte verworfen werden. Nicht Massen, sondern wenige Auserwählte sind nötig. Massen haben nie etwas geschaffen; ihre Bestimmung ist es zu zerstören.

       Wie der große Denker Nietzsche durch seinen Zarathustra spricht: ”Ein Licht ging mir auf: Gefährten brauche ich und lebendige, – nicht tote Gefährten und Leichname … Ein Licht ging mir auf: nicht zum Volke rede Zarathustra, sondern zu Gefährten! Nicht soll Zarathustra einer Herde Hirt und Hund werden! … Gefährten sucht der Schaffende und nicht Leichname, und auch nicht Herden und Gläubige. Die Mitschaffenden sucht der Schaffende, die, welche neue Werte auf neuen Tafeln schreiben … Den Schaffenden, den Erntenden, den Feiernden will ich mich zugesellen: den Regenbogen will ich ihnen zeigen und alle Treppen die zum Übermenschen führen …”

       Ich liebe dieses Buch sehr. Sicherlich, viele sind empört, wenn sie es lesen. Doch genaugesagt sind es jene, die Schwierigkeiten haben werden, in die Neue Welt einzutreten. Jetzt ist die Zeit für Sentimentalität zu bedrohlich. Alle, die streben können, die stark sein können, beharrlich und mutvoll, sollten sich versammeln. Wahre Krieger des Geistes werden gebraucht, die sich nicht fürchten, das Schwert für das Licht und das Allgemeinwohl zu erheben. Daher werden die Heiligen und die Bodhisattvas Tibets mit einem Schwert dargestellt – dem Symbol der Furchtlosigkeit, der Tapferkeit des Geistes. Ist einer furchtsam, tut er besser daran, zurückzutreten, denn wahrlich, er wird das Feuer der Neuen Welt nicht ertragen können. Die Lehre ist nicht für die Schwachen und Feigen. Die Wiedergeburt des Geistes bricht an und das wahre Begreifen des Lebens, erleuchtet vom vollendeten Regenbogen der unbegrenzten Schönheit.

       Ja, Umwälzung und Aufschwung des Bewußtseins sind erforderlich, andernfalls treten Tod und Zersetzung ein. So ist das Kosmische Gesetz.

       Es ist gesagt, daß das wahre Gesicht der Menschen enthüllt wird, weil der Raum gereinigt werden muß . Doch eine solche Enthüllung sollte Sie nicht erschrecken. Lange vorher wurde gesagt, daß ”Iwan” (unter Hunderten von Tausenden) sein Land retten wird! Die Tragödie beruht auf Mangel an Verstehen, da viele fürchten zu erkennen, daß das Bewußtsein des Volkes sich änderte – daß eine ganz neue Generation herangewachsen ist, gänzlich verschieden von der alten. Wenn sich unser Denken von jenem unserer Eltern unterscheidet, trotz des langsamen Tempos des letzten Jahrhunderts, was kann man da von der Psychologie einer in einer revolutionären Umwelt aufgewachsenen Generation sagen? Wie völlig andersartig muß ihre Psychologie sein! Wahrlich, Mangel an Vorstellungsvermögen ist ein großes Hindernis und eine drastische Beschränkung der Möglichkeiten. Treten Sie daher den Angriffen gelassen gegenüber. ”Wer sich vor Wölfen fürchtet, muß den Wald meiden”, und ”Gott ist mit den Tapferen”. Die Erfahrung des Lebens bestätigt diese weisen Sprichwörter. Zum kulturellen Aufbau der Neuen Welt bedarf es tapferer Menschen mit gefestigtem Bewußtsein, die sich dem Dienst am Allgemeinwohl hingeben und bereit sind, jeden Augenblick die Große Hierarchie des Lichts zu verteidigen. Ich will aus meinem Lieblingsbuch ”Gemeinschaft” einen Paragraphen anführen:

       ”Wir brauchen keine wohlmeinenden Nikodemuse, die nachts kommen und am Tag im Synedrion schweigen. Jeder muß das ihm anvertraute Geheimnis hüten, doch er muß ein Wort über Uns bereit haben. Strenge Worte können die Gegner betäuben. Sagt, daß es seltsam ist, jemanden über etwas sprechen zu hören, was er nicht weiß. Wenn man gegen die verborgenen Schätze spricht, sagt, daß sogar das Meer voll ist von versiegelten Flaschen. Wenn man gegen die Gemeinschaft spricht, sagt – wer Christus, Buddha oder Moses verehrt, wird sich nicht erdreisten, gegen die Gemeinschaft des Guten zu sprechen. Das schlimmste ist, falsche Beschuldigungen vorzubringen, denn darin verbergen sich Lüge, Verleumdung, Verrat und Unwissenheit. Sagt: ‚Da der Lehrer existiert, warum soll man Seine weisen Ratschläge nicht befolgen? Ihr befolgt sie nicht, weil ihr nicht versteht, sie zu empfangen. Beeilt euch, nicht in Geschichte über die Mahatmas unterrichtet zu werden, sondern im Leben, und bis dahin behaltet eure Unwissenheit für euch‘.

       ”Wir treiben die ganze Furcht aus. Wir übergeben das ganze bunte Gefieder der Furcht dem Wind: die blauen Federn des erstarrten Schreckens, die grünen Federn des verräterischen Zitterns, die gelben Federn des Verschweigens, die schwarzen Federn des Sturzes in den Abgrund. Es ist notwendig, auf die Vielfältigkeit der Furcht wiederholt hinzuweisen; sonst bleibt irgendwo ein graues Federchen gefälligen Gestammels oder ein Flaum hastiger Unruhe, und hinter diesem wird sich der gleiche Angstgötze verbergen. Jede Schwinge der Furcht trägt uns abwärts.

       ”Der in Furchtlosigkeit gehüllte Gesegnete Löwe gebot, die Offenbarung von Mut zu lehren.

       ”Schwimmer, wenn ihr alles euch Mögliche tut, wohin kann die vernichtende Welle euch tragen? Sie kann euch nur emportragen. Und du, Sämann, wenn du die Saat ausstreust, wirst du eine Ernte erwarten. Und du Hirte, wenn du deine Schafe wieder zählst, wirst du ein deutliches Licht anzünden.” (Gemeinschaft)

       Setzen Sie daher Ihr nutzbringendes Werk fort, lassen Sie weise Vorsicht walten, doch legen Sie keinen Kleinmut an den Tag. Fürchten Sie sich nicht vor Vogelscheuchen. Oh, diese Schemen der Furcht! Soviel Schönheit wird ihretwegen zerstört. Und wie vieler Dinge berauben wir uns. Ich bin mir bewußt, wie wichtig begabte Mitarbeiter sind, doch leider sind sie derzeit sehr vereinzelt.

* * *

       In der letzten Ausgabe der Zeitschrift ”Okkultismus und Yoga” hat die Buchbesprechung über ”Die Grundlagen einer Neuen Betrachtung der Welt” meine Aufmerksamkeit erregt. Ich wunderte mich über den Einwand gegen die Begriffsbestimmung ES – das Unerkannte, Unbegrenzte und Ewige! Hier zeigt sich wieder der Schatten des Anthropomorphismus. ES, als das Unaussprechliche, das Unermeßliche oder die Ursachenlose Ursache, die Wurzellose Wurzel, das Absolute kann sicherlich nicht als Individualität betrachtet werden, denn jede Individualität ist bis zu einem bestimmten Grad begrenzt, wogegen das Absolute unbegrenzt ist. Ebenso könnte ich den Gegner fragen, der sagte ”Gott ist Liebe, aber nur eine Individualität und kein unpersönliches Prinzip oder Gesetz kann lieben”, – ob er je darüber nachgedacht habe, worin Kosmische Göttliche Liebe besteht – und daß sie sich in den Milliarden von endlosen Erscheinungen offenbart; daß sie sich in den verschiedenen Bewußtseinszuständen äußert; daß die unbegrenzte Potentialität von ES sich unaufhörlich entfaltet. Der Osten hält das Göttliche Erste Prinzip heilig und zögert, es zu benennen; er spricht nur von ”ES” oder dem ”Unaussprechlichen”. Jede Diskussion über das Erste Prinzip ist im Osten verboten, aber die ganze Kraft der Wahrnehmung konzentriert sich auf die herrlichen Erscheinungen dieses Geheimnisses der Geheimnisse. Das Universum beruht auf einem Geheimnis.

       Viele, die sich auf okkultem Gebiet als kompetent betrachten, unterschätzen das große Geheimnis des Universums. Sie haben gelernt, das Wort ”Unbegrenztheit” zu gebrauchen, doch sehr wenige erfassen diesen erhabenen und ehrfurchtgebietenden Begriff voll und ganz. Sie fahren fort, ihren Gott durch die von ihrem beschränkten Denken geschaffenen Attribute zu begrenzen.

       Ich wünsche Ihnen aufrichtig, ein wirklicher Krieger zu werden und Ihren Geist im Schauer feindlicher Pfeile zu stählen. Es ist eine besondere Freude, diese feindlichen Pfeile zu erhalten. So ist gerade jetzt ein Verrat enthüllt worden, wo ich ihn am wenigsten erwartet hätte. Mein Herz ist tief verwundet, doch irgendwo in seinen Tiefen erhebt sich bereits Freude. Es ist die Freude eines Kriegers, die Freude an der Möglichkeit, für die Wahrheit zu kämpfen – und darüber hinaus die Freude einer erneuten Befreiung!

9. Juli 1935

       Sie fragen, ob es richtig oder falsch sei, Sünden zu vergeben? Ich habe diese gleiche Frage bereits in einem anderen Brief beantwortet, in dem ich die Worte der Lehre zitierte: ”Einen reuigen Sünder gegen Bezahlung loszusprechen, ist wohl das abscheulichste Verbrechen” (Agni Yoga, § 52). Im selben Brief erklärte ich, daß solch eine Sündenvergebung eines der schrecklichsten Übel der modernen geistigen Erziehung ist; genau gesagt, hat die Kirche damit schon in das frühkindliche Bewußtsein der Menschen das unheilvolle Gefühl der Verantwortungslosigkeit eingepflanzt. In Anbetracht verschiedener lokaler Umstände würde ich empfehlen, von Beginn der Schulzeit an mit einfachen und vernünftigen Worten auf die Wichtigkeit persönlicher Verantwortung einzugehen. Die Kinder sollten in der Schule darüber belehrt werden, daß man für jedes Motiv, jeden Gedanken und jede Tat die Verantwortung zu übernehmen hat. Es sollte ihnen auch eine klare Vorstellung von dem Sinn der Bedeutung ihres Seins vermittelt werden. Daraus wird das Verstehen erwachsen, wie notwendig es ist, seine Pflicht zu erfüllen. Diese Einstellung sollte der Erziehung der jungen Generation zugrunde liegen.

       Ich rate Ihnen, die noch nicht ausgelebten Vorstellungen nicht zu stark zu tadeln, da sonst unter den bestehenden Umständen Ihr Buch nicht erscheinen könnte! Warum ist das Bild der Schlange als Symbol der Weisheit gewählt worden? Eine der vielen Erklärungen dieses Sinnbildes besteht darin, daß die Schlange ihren Kopf immer aufrecht hält und sich geradeaus bewegt, nur ihr Körper windet sich je nach den ihr begegnenden Hindernissen. Laßt uns daher so weise wie die Schlangen sein und unserem Ziel zustrebend, den besten Pfad wählen.

       Um Christi Worte (Matth. 18:18) ”Wahrlich, ich sage euch, was immer ihr auf Erden bindet, wird im Himmel gebunden sein, und was ihr auf Erden löst, wird im Himmel gelöst sein” richtig zu verstehen, sollte man den vorhergehenden Vers 15 im selben Kapitel studieren. Vers 18 ist sozusagen die Moral, die aus jener Parabel hervorgeht und deutet auf die Wirkung des Karmagesetzes hin. Wahrlich, wenn wir unsere Auseinandersetzungen mit den uns hier auf Erden Nahestehenden nicht schlichten, können sie auch in der Feinstofflichen Welt nicht geschlichtet werden. Denn in der Feinstofflichen Welt ernten wir das, was wir hier säen. Aus diesem Grund sollten wir immer bemüht sein, nach Möglichkeit Karma zu tilgen, mit anderen Worten, hier auf Erden unsere Verhältnisse mit anderen zu ordnen.

       Warum sollte die Anrede ”euch” in Vers 18 nur für die Apostel gelten und nicht für die Menschheit im allgemeinen? Es ist nicht schwer zu verstehen, warum diese Worte so ausgelegt wurden, als wäre den Aposteln von Christus das Recht übertragen worden ”zu binden und zu lösen”, oder mit anderen Worten, zu strafen und zu vergeben. Im übrigen besagt das ganze Gleichnis durchaus nicht, daß man sich dem Bösen nicht widersetzen solle, wie es Christus so hartnäckig zugeschrieben wird.

       In der Tat, selbst das Größte Geistwesen kann begangene Sünden nicht vergeben, denn dies widerspräche dem Karmagesetz. Es könnte zwar bis zu einem gewissen Grad Karma erleichtern, doch das ist alles. Wenn der Mensch selbst der Schöpfer und gleichzeitig Registrator aller seiner Motive, Gedanken und Taten ist, wer könnte dann ohne seinen unmittelbaren Willen in seinem Wesen und daher an seinem Schicksal überhaupt etwas ändern? Ein Hohes Geistwesen kann nicht mehr tun, als uns in unseren Anstrengungen, unser inneres Wesen zu wandeln, zu helfen. Anders gesagt, in allem ist Zusammenarbeit erforderlich.

       Die wahre Bedeutung der Worte ”Deine Sünden sind vergeben” liegt daher darin, daß der Große Lehrer die Aura des Leidenden fühlen konnte. Er sah die höheren Schwingungen der Aura des Leidenden – infolge Bestrebung und Vertrauen zur Höheren Macht – und daß seine heilenden Strahlen jetzt aufgenommen werden und so Befreiung von den unheilvollen Auswirkungen durch Gedanken und Taten bringen konnten. Daher hatte Er allen Grund zu sagen: ”Deine Sünden sind vergeben”.

       Die Sünden vergeben oder nachlassen heißt, ihre Folgen tilgen. In diesem Prozeß der Tilgung einer bösen Tat werden vor allem jene Kraftströme in der Aura eines Menschen neutralisiert, die infolge der unrechten Tat aus negativen Energien gespeist wurden. Genauso wie ein chemischer Bestandteil das ganze Wesen einer Substanz, die sich aus vielen anderen Teilen zusammensetzt, verändern kann, so kann das edle Motiv einer Tat die Folgen einer Wirkung neutralisieren und bewältigen, die aus den Grundeigenschaften der menschlichen Natur entstanden; so kann der ganze Charakter des Menschen verändert und sein ganzes Wesen gewandelt werden.

       Daraus geht klar hervor, daß niemand einem anderen die Sünden vergeben oder ihn davon befreien kann; aber man kann ihm sicherlich zu gegebener Zeit helfen, sein Herz seinem höheren Ego zu öffnen und die in ihm schlummernden göttlichen Kräfte zu wecken. Umgekehrt werden diese göttlichen Kräfte der Aura dessen guttun, der durch seine Hilfsbereitschaft dazu beitrug, die göttlichen Kräfte im anderen zu wecken. Immer, überall und in allem Zusammenarbeit!

       Christus der Erlöser wohnt sicherlich in jedem von uns. Sie wissen bereits, daß für die ersten Christen und für die alte Welt das Wort ”Christos oder Christus” gleichbedeutend war mit unserem Ego. In diesem Sinn sollte man Christus als den Erlöser von den Sünden verstehen. Die Tilgung unserer persönlichen Sünden wird demnach unaufhörlich von der Seele – dem Führer und Boten des Christus – in der langen Kette der irdischen Leben unseres individuellen Egos bewältigt. ”Der gekreuzigte Christus ist in jedem menschlichen Wesen gegenwärtig, das bei Erreichung einer bestimmten Evolutionsstufe in die Hölle hinuntersteigen muß, um seine infolge ungesetzlicher Taten seines niederen Ichs gefallene Seele wieder zu erheben. Mit anderen Worten, die Göttliche Liebe muß das Herz eines Menschen erreichen, ihn erobern und erneuern, ehe er imstande ist, die Ungeheuerlichkeit seiner Sünde gegen das Göttliche Gesetz zu erkennen. Dies kann nur durch eine völlige Vereinigung und Verschmelzung mit dem höheren Ego oder mit dem Göttlichen Gesetz der Liebe erlangt werden.”

       Die gleiche Bedeutung liegt in Christi Worten zu der Sünderin Maria Magdalena, die seine Füße mit Myrrhe salbte. Die Macht des Glaubens, die Macht der Liebe ist jenes Feuer, das unsere Gefühle völlig umwandelt; denn sie sind Energien, die in Gedanken und Taten verwandelt werden.

       Daher kann uns nur die Umwandlung der Energien, d. h. der Gefühle oder der Qualität der Gedanken aus dem magischen Kreis von Karma befreien. Und so wollen wir unsere Schwingungen durch edle Gefühle erhöhen. Es ist sehr wichtig, in den Kindern das Streben und die Liebe zu allem Schönen zu wecken.

       Bei diesem Erhöhen der Schwingungen ist die Hilfe des Lehrers sehr notwendig, da Er allein durch seine Berührung einen Schüler, der seinen Empfänger auf den Rhythmus der Schwingungen des Lehrers abstimmt, verwandeln kann. Genaugesagt, die Ausstrahlungen eines reinen, irdischen Lehrers erhöhen die Schwingungen von allem, was ihn umgibt, oft über eine ungeheure Ausdehnung. Dadurch wird nicht nur der Raum gereinigt, sondern oft werden auch die Feuer der Individuen entfacht, die den Lehrer umgeben. Aus diesem Grunde galt es in früheren Zeiten als ein großes Privileg, in der Nähe eines Lehrers zu leben und ihm zu dienen, da dies die Möglichkeit bot, sich mit seiner Aura zu verbinden. Der Osten kannte und verehrte diese heiligen Gesetze. Auch jetzt noch gilt es in Indien als Segen, wenn ein heiliger Mensch sich in der Nachbarschaft ansiedelt.

       Sie befürchten, daß niemand Behauptungen Glauben schenken wird, die von anerkannten Autoritäten nicht bestätigt werden. Dazu möchte ich sagen, daß ich persönlich es vorziehen würde, entweder vernünftige und klare Behauptungen von der Persönlichkeit selbst zu hören oder Zitate aus völlig neuen Quellen, da der hohe Rang solcher Persönlichkeiten dem Neuen oft widerspricht, dem Zukünftigen, mit anderen Worten, dem evolutionären Denken.

       Nebenbei erwähnt, kennen Sie die Werke von Edward Carpenter? Er schrieb einige sehr schöne Seiten über Kosmische Liebe und auch über die Erziehung der jungen Generation. Er war ein sehr reiner Schriftsteller.

       Bezeugen Sie daher durch alle Arten historischer Beispiele und Geschichten aus dem Leben die Notwendigkeit des Bewußtwerdens der Verantwortlichkeit und Pflichterfüllung, um die neue Generation zu erziehen. Auch in der Bhagavad Gita können Sie in einem der Jugenderziehung gewidmeten Kapitel schöne Stellen finden.

* * *

       Es gibt nichts Höheres als Schöpferkraft, und es gibt keine größere Freude. Darum schaffen Sie und freuen Sie sich! Ich sende Ihnen meine besten Gedanken und Mut. Wagen Sie den schöpferischen Flug! Trotz meiner zahlreichen lebensnahen Warnungen möchte ich Ihnen zuflüstern: ”Schaffen Sie mutig!” Mögen sich die Gedanken unentstellt und uneingeschränkt in den Raum einprägen und in die inneren Seiten Ihres Wesens. Mögen Sie vom Schatten des Skalpells des Zensors verschont bleiben. Seien Sie sicher, daß es nie zu spät ist zu kürzen oder zu verstümmeln – auf das Niveau der Massen niederzusteigen. Doch wenn Sie allein oder mit geistig Nahestehenden zusammen sind, dann schaffen und sprechen Sie frei!

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