Die Pflanzenschrift und ihre Offenbarungen
von Jagadis Chunder Bose
VIII. KAPITEL
DIE REAKTIONEN DER ANORGANISCHEN MATERIE
Die Ergebnisse der letzten Kapitel lassen erkennen, daß ein steter Zusammenhang zwischen den Reaktionen der Tiere und denen der pflanzlichen Organismen besteht, und dies beweist, daß die Gesetze des Lebens einheitlich sind. Beim Studium dieses Zusammenhangs begehen manche den Mißgriff, den Menschen direkt mit der Amoebe zu vergleichen, und sie wundern sich dann, daß sie nicht alle komplizierten Organe der höchsten Lebewesen bei den niedersten wiederfinden. Tatsache ist, daß eine lückenlose Entwicklung von den niedersten zu den höchsten Lebewesen stattgefunden hat, wobei die Kompliziertheit beständig zunahm.
Ein einfaches Räderwerk kommt nicht leicht aus der Ordnung, und wir finden, daß in der Maschinerie des Lebens die einfachsten Mechanismen nicht leicht zerstört werden. Die einzelligen Organismen sind daher praktisch unsterblich. Manche Infusorien können ausgetrocknet werden, so daß sie tot erscheinen, doch ein Tropfen Wasser bringt diese einfachen Organismen zum Aufleben, sie schwimmen vergnügt und kräftig umher. Ist der Bau ein verwickelter, wie bei den höheren Tieren, so kann eine lokale Störung die ganze Maschine außer Gang setzen; die höhere Entwicklung wird mit dem Tode bezahlt.
Können wir noch tiefer hinabsteigen auf der Leiter des Lebens und selbst bei der anorganischen Materie noch irgendwelche Zeichen von Reizbarkeit entdecken, welche bisher als ein spezieller Charakter der lebenden Materie betrachtet worden ist? Trägt die Materie in sich die potenzielle Befähigung des Lebens? Wie hätte andernfalls das erste Leben auf der Erde erscheinen können? Solange die Erde eine flüssige Masse war, hat auf ihr kein Leben, wie wir es heute kennen, bestehen können. Man hat vermutet, daß der erste Keim des Lebens auf unsere Erde durch kosmischen Staub von anderen Welten übertragen worden ist. Doch diese Annahme würde die Schwierigkeit nur nach rückwärts verlegen. Wahrscheinlich sind in irgendeiner kritischen Periode der Erdgeschichte die äußeren Bedingungen der Entstehung des Lebens aus Nichtbelebtem besonders günstig gewesen.
Vor mehr als 30 Jahren wurde ich in Erstaunen versetzt durch gewisse ganz unerwartete Erscheinungen, die mein Detektor für elektrische Wellen zeigte. Ich fand zum Beispiel, daß unter lange fortgesetzter Einwirkung von ununterbrochen einlaufenden Funksprüchen, die Empfindlichkeit des Metalldetektors verschwand. Wenn man aber dem Empfänger hinreichend lange Ruhe ließ, so bekam er seine Empfindlichkeit wieder. Als ich ihn nacheinander eine Reihe von Kurven aufzeichnen ließ, war ich erstaunt zu finden, daß diese denjenigen, welche die Ermüdung im tierischen Muskel anzeigen, sehr ähnlich waren. Und gerade wie das tierische Gewebe nach einer Ruheperiode sein volles Reaktionsvermögen wiedergewinnt, so erholte sich auch der anorganische Empfänger nach einer Ruhezeit.
Ich dachte nun, eine lange Ruhezeit würde meinen Empfänger noch empfindlicher machen; ich legte ihn daher für etliche Tage beiseite, fand aber mit Erstaunen, daß er nachher unempfindlich geworden war. Er war in der Tat durch die mangelnde Inanspruchnahme träge geworden. Ein starker äußerer Impuls erweckte ihn wieder und machte ihn reaktionsfähig. Er muß also in entgegengesetzter Weise behandelt werden, je nachdem er von starker Inanspruchnahme müde oder träge von langer Untätigkeit ist! Dies war noch nicht alles. Denn ich fand weiter, daß die Einwirkung gewisser stimulierender Chemikalien meinen Empfänger außerordentlich empfindlich machte, so daß er nun äußerst schwache drahtlose Wellen aufzeichnen konnte, für die er vorher unempfindlich gewesen war. Andere chemische Einwirkungen drückten die Empfindlichkeit herab oder vernichteten sie völlig.
Nachdem ich so gewissen Reaktionen auf die Spur gekommen war, die einen an die Reaktionsfähigkeit lebender Gewebe erinnerten, wurden weitere Experimente mit Metalldrähten ausgeführt, wobei ich dieselbe Methode der elektrischen Reaktion gebrauchte, die ich bei der Untersuchung tierischer Gewebe anzuwenden gewohnt war.
Ich will nun einige von den wichtigeren Ergebnissen beschreiben, die ich mit anorganischen Substanzen, beispielsweise mit Metallen erhielt. Metalle wie Zinn, Kupfer und selbst das chemisch inaktive Platin wurden für die Versuche gewählt, wobei ihre hohe Leitfähigkeit maßgebend war, welche starke elektrische Ausschläge sicherstellt. Solange das Metallstück in Ruhe war, zeigte sich keine elektrische Erregung. Doch wenn es irgendwie erregt wurde, erhielt ich eine bestimmte Reaktion. Eine schwache Reizung veranlaßte eine schwache Reaktion und die Rückkehr zum ursprünglichen Zustand vollzog sich in kurzer Zeit. Eine stärkere Reizung bewirkte eine stärkere Reaktion und die für die Erholung notwendige Zeit verlängerte sich. Ein schwacher Reiz, der einzeln unwirksam war, wurde bei Wiederholung wirksam. Alle diese Ergebnisse sind den charakteristischen Reaktionen der Nerven und Muskeln ganz analog.
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Fig. 36. Ermüdung von Metallen. |
Fig. 37. Verstärkung der elektrischen Reaktion der Metalle durch stimulierende Stoffe. |
Gleichförmige Reaktionsausschläge wurden durch gleichförmige Reize erhalten, wenn die Intervalle für vollständige Erholung ausreichend waren. Wenn aber das Metall einer lange fortgesetzten Reizung unterworfen wurde, so zeigte es Ermüdung (siehe Fig. 36).
Ich will nun die Wirkung stimulierender Mittel beschreiben, welche in der Verstärkung der Reaktionen besteht. Nachdem ich die normalen Ausschläge des Metalles auf aufeinanderfolgende gleiche Reize hatte registrieren lassen, brachte ich es mit einem stimulierenden Mittel, und zwar mit einer Lösung von Natriumkarbonat in Berührung; das Ergebnis war eine Verstärkung der Reaktionsausschläge (Fig. 37). Es gibt andere Stimulantien, welche eine noch auffälligere Zunahme der Reizbarkeit herbeiführen.
Wir haben also in diesem und in den vorangehenden Kapiteln gefunden, daß Tiere, Pflanzen und Metalle, wenn sie denselben äußeren Reizen unterworfen werden, in allen Fällen eine ähnliche Antwort geben. Sie lassen in ähnlicher Weise Ermüdungen erkennen und zeigen unter dem Einfluß von Stimulantien ähnliche Erhöhung der Reaktionsfähigkeit. Wenn man die Gleichartigkeit der Reaktionsweise noch weiter bekräftigt zu sehen wünscht, so bleibt schließlich noch ein Merkmal, an dem die Physiologen die charakteristischen Erscheinungen des Lebens erkennen. Was lebt, kann sterben und der Tod kann durch Gifte beschleunigt werden. Die Reaktionen werden hierbei schwächer, bis sie endlich ganz aufhören. Ist es glaubhaft, daß wir in gleicher
Weise durch die Anwendung von Giften Metalle "töten" können? Es erscheint seltsam genug, - die elektrische Reaktion verschwindet nach der Einwirkung von Giften ganz. Es ist ein merkwürdiges Phänomen, das wir nicht nur aus reizphysiologischen Untersuchungen, sondern auch aus der medizinischen Praxis kennen, daß dasselbe Gift, in geringer oder in großer Dosis verabreicht, zu entgegengesetzten Wirkungen führt. Wir finden auch da dieselbe Erscheinung in verblüffend ähnlicher Weise bei der anorganischen Substanz wieder. Die kleine Dosis eines Giftes verstärkt die Reaktionsausschläge, während eine große Dosis sie ganz vernichtet (Fig. 38).
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Fig. 38. Wirkung von Giften auf die Reaktion von Metallen. Eine kleine Dosis erhöht, eine große Dosis vernichtet das Reaktionsvermögen. |
So haben wir denn die Reaktionskurven von Lebendigem und von Nichtlebendem untersucht. Wie ähnlich sind ihre Schriftzüge! So ähnlich fürwahr, daß wir sie nicht voneinander unterscheiden können. Beim einen wie beim ändern haben wir die Reaktionsschläge wachsen und verschwinden sehen. Wir haben gesehen, wie die Reaktionsfähigkeit bei Ermüdung sinkt, bei Stimulierung ansteigt und durch Gifte vernichtet wird, und all dies beim Unbelebten so gut wie beim Lebendigen.
Wie können wir nach solchen Erfahrungen eine scharfe Grenzlinie ziehen und sagen: "Hier endet der physikalische Prozeß und hier beginnt der physiologische?" Solch eine Linie kann wohl kaum gezogen werden.
Führen uns nicht die zwei Kurvenreihen vom Belebten und Unbelebten auf irgendwelche gemeinsame, beständige Züge aller Materie? Zeigen sie uns nicht, daß gleiche Störungen im molekularen Gleichgewicht beim Unbelebten wie beim Belebten die Folge der Reizung sind, - daß physiologische Vorgänge mit physikalischen eng verbunden sind - daß keine jähe Kluft besteht, sondern ein gleichförmig waltendes Gesetz?
Die Staubteilchen und die Erde, die Pflanze und das Tier, sie alle sind sensitiv. So können wir mit einem kosmischen Sinn in den Millionen Welten, die ihre Bahn durch den Raum ziehen, etwas den Organismen Verwandtes sehen; sie alle haben ihre Geschichte und ihren Entwicklungsweg für die Zukunft. Wir können zum Glauben gelangen, dass sie alle nicht empfindungslose Massen sind, in der Starre des Todes beschlossen, sondern tätige Organismen, "ihr Atem ist vielleicht leuchtender Eisendampf, ihr Blut ist flüssiges Metall und ihr Fuß ein Strom von Meteoriten".
Wir wollen nun mit erneutem Mut zur Untersuchung der Geheimnisse zurückkehren, um die wir uns solange vergeblich bemüht haben. Denn jeder Schritt der Wissenschaft nach vorwärts bestand darin, das, was widerspruchsvoll und eigenartig erschienen war, in eine neue Harmonie zu fassen. Ihr Fortschritt hat stets zur klaren Erfassung einer tieferen Einheit geführt da, wo man erst nur Verschiedenheit sah.
Als ich das stumme Zeugnis dieser selbst geschriebenen Kurven kennen und in ihnen eine Erscheinungsform jener alldurchdringenden Einheit sehen lernte, die alles, was ist, umfaßt, - das schwingende Wellenspiel des Lichtes, das sprossende Leben auf unserer Erde und die strahlenden Sonnen, die im Weltenraum leuchten, - da ahnte ich zum erstenmal den Sinn jener Botschaft, die meine Vorfahren vor dreitausend Jahren an den Ufern des Ganges verkündet haben: "Die in der bunten Mannigfaltigkeit des Universums die Einheit erschauen, denen gehört die ewige Wahrheit - nur ihnen allein, nur ihnen allein."