Die Pflanzenschrift und ihre Offenbarungen
von Jagadis Chunder Bose
IV. KAPITEL
DIE WIRKUNG CHEMISCHER AGENTIEN AUF DIE PFLANZEN
Die Kontraktionen des reizbaren Gelenkpolsters von Mimosa machen es möglich, die mechanische Reaktion von der Pflanze selbsttätig aufzeichnen zu lassen. Die funktionelle Ähnlichkeit zwischen den zwei kontraktilen Organen, dem Gelenkpolster und dem Muskel, ist nicht auf die sichtbaren Bewegungsäußerungen beschränkt, sondern sie läßt sich bis zum letzten, protoplasmatischen Mechanismus verfolgen.
DIE SCHILDKRÖTE UND DER HASE
Hinsichtlich der Raschheit der Bewegung bei tierischen Muskeln bieten uns die Schildkröte und der Hase die auffälligsten Unterschiede; beim schnellen Tier muß die Reaktion eine rasche sein, während beim trägen Tier die Reaktion langsam ist. Der Schwingmuskel eines Raubvogels, etwa der eines Falken, ist in stärkster Tätigkeit; der der Gans ist minder tätig, der des Haushuhns endlich ist fast untätig, da hier die Fähigkeit zu fliegen praktisch verloren gegangen ist. Wie kommt die rasche Aktionsfähigkeit zustande? Merkwürdig genug, bei den Blättern der Pflanzen existieren auch drei Typen von Bewegungsorganen, rasch tätige, halb tätige und untätige, ganz entsprechend den drei Typen im Tierreich.
BEWEGUNGSREAKTION DES GELENKPOLSTERS
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Fig. 13. Längsschnitt durch Hauptblattstiel und Gelenkpolster von Mimosa mit dem oberen und unteren Gefäßbündel. Pt Rindenzellen des Blattstiels, die ungefärbt bleiben. P (unten rechts) kontraktile Zellen des Gelenkes, die sich tief gefärbt haben. |
Bei Mimosa pudica ist die Geschwindigkeit der Reaktionsbewegungen auf äußere Reize sehr groß, indem die Gelenkkontraktion und das Fallen der Blättchen in der Zeit von nicht mehr als einer Sekunde vollendet wird. Bei anderen sensitiven Pflanzen ist die Geschwindigkeit der Bewegungen verhältnismäßig gering; so beispielsweise bei Neptunia oloracea, einer Pflanze, die der Mimosa pudica im Aussehen nicht unähnlich ist. Neptunia gedeiht in Seen und sie bildet einen Korkgürtel rings um den Stamm aus, um auf dem Wasser zu schwimmen. Die Bewegungen des Blattes von Neptunia erfolgen so langsam, daß die Zeit, in der das Blatt völlig niedersinkt, mehr als eine Minute beträgt. Das Gelenkpolster der Bohnenpflanze (Phaseolus) endlich zeigt Bewegungen, die sehr schwach sind und äußerst träge verlaufen.
Wenden wir unsere Aufmerksamkeit dem Organ zu, das die Bewegungen ausführt, so ist es bei Mimosa die Kontraktion der Rindenzellen des Gelenkpolsters, die das rasche Fallen des Blattes bewirkt. Das Gelenkpolster der Bohnenpflanze ist, wie schon erwähnt, inaktiv, obwohl seine Rindenzellen anatomisch jenen von Mimosa ähnlich sind. Anatomische Ähnlichkeiten sind bisher mit Unrecht dazu benützt worden, die Funktion eines Organs zu bestimmen; die angeführten Tatsachen werden wohl den irreführenden Charakter eines derartigen Kriteriums erweisen. Es ist nicht der anatomische Bau, sondern der protoplasmatische Inhalt der Gewebszellen, der einem Organ seine physiologische Fähigkeit zur Vollführung gewisser Funktionen verleiht. Das Bewegungsvermögen eines Organes hängt, wie wir gleich sehen werden, von der Gegenwart einer bestimmten aktiven Substanz im Protoplasma ab.
KENNZEICHNUNG UND UMGRENZUNG DES BEWEGUNGSGEWEBES
Wie läßt sich die Gegenwart dieser aktiven Substanz nachweisen? Wenn wir einen Längsschnitt durch das Gelenkpolster von Mimosa unter dem Mikroskop prüfen, so ist es unmöglich, durch direkte Beobachtung festzustellen, wo die kontraktilen Zellen beginnen, wo sie enden und wie sie verteilt sind. Es gelang mir indes, dieselben durch selektive Färbung mit Safranin kenntlich zu machen. Dieser Farbstoff gab sehr deutliche Resultate; es schien, als hätte eine Hand mit äußerster Sorgfalt jede aktiv kontraktile Zelle ausgelesen und ihren plasmatischen Inhalt tief karmesinrot gefärbt (Fig. 13).
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Fig. 14. Nach Mikrophotographien: Teile von Schnitten durch das Gelenkpolster (a) der aktiven Mimosa, (b) der halbaktiven Neptunia, (c) der inaktiven Bohne. Die dunklen Teile bezeichnen den gefärbten Inhalt der kontraktilen Zellen. |
Die Umrisse des kontraktilen Gewebes waren jetzt scharf bezeichnet; der gefärbte plasmatische Inhalt der aktiven Zellen zeigte bei starker mikroskopischer Vergrößerung ein deutlich körniges Aussehen. Bei der halb aktiven Neptunia lagen die gefärbten kontraktilen Zellen nicht zusammenhängend wie bei Mimosa, sondern über den Querschnitt zerstreut (Fig. 14b). Keine Färbung begegnete in den Gelenkzellen der inaktiven Bohnenpflanze, indem hier die aktive Substanz überhaupt fehlte (Fig. 14c). Es ist sehr bemerkenswert, daß die Bewegungskraft der tierischen Muskeln in ähnlicher Weise von der Gegenwart und relativen Verteilung einer aktiven Substanz abhängig erscheint (Fig. 15). Das Gelenkpolster von Mimosa darf somit als funktioneil gleichwertig mit dem bewegenden tierischen Muskel angesehen werden.
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Fig. 15. Querschnitt durch Brustmuskeln (a) vom Falken, (b) von der Gans, (c) vom Haushuhn. Die relative Menge granulierter Substanz (schattiert) variiert direkt mit dem Flugvermögen. (Nach Knoll.) |
Alle Bewegung ist in letzter Linie von Oxydations- oder Verbrennungsvorgängen abhängig. In der Maschine ist die Geschwindigkeit der Bewegung etwa proportional dem Verbrauch an Feuerungsmaterial; je rascher die Verbrennung, desto größer ist die Schnelligkeit der Bewegung. In gleicher Weise spielt in der lebenden Maschine die Geschwindigkeit der Oxydation eine wichtige Rolle beim Zustandekommen rascher Bewegungen und in unserem Falle erweist sich die aktive Substanz in der Tat als hoch oxydabel.
VERÄNDERUNGEN IN DER REAKTIONSFÄHIGKEIT
Wir wenden uns nun weiter zu einer Untersuchung über die Veränderung der Reaktionsfähigkeit der Pflanzen beim Wechsel der äußeren Bedingungen. Im letzten Kapitel wurde gezeigt, wie tierähnlich, ja menschenähnlich im allgemeinen die Reaktionen der Pflanzen verlaufen und wie diese gleich uns von Licht und Dunkelheit, Wärme und Kälte, Ruhe und Ermüdung beeinflußt werden. Es gibt noch andere Faktoren, die uns tiefgreifend beeinflussen, wie beispielsweise die Reinheit oder Unreinheit der Luft, die wir atmen. Ferner gibt es mannigfache chemische Stoffe, die charakteristische Wirkungen, bald günstiger, bald schädlicher Art auf uns ausüben.
Wir wählen als Beispiel die Luft, die wir atmen. Die verdorbene Luft der Stadt stimmt uns herab und vermindert unsere Spannkraft, den allgemeinen Tonus; ein Spaziergang auf dem Lande, im Nadelwald mit seiner ozonreichen Luft stellt dann Gesundheit und Kraft wieder her. Denken wir daran, wie schädlich geschlossene dumpfe Wohnräume sind, wie notwendig gute Ventilierung ist. Denken wir auch an das schlimme Gehaben der Leute, welche zum Alkohol greifen und der Alkohol ergreift sie.
Dann gibt es gar mancherlei Narkotika, die wir nehmen, um schlafen zu können oder um uns unempfindlich gegen das Messer des Chirurgen zu machen. Manche von diesen Mitteln, Äther zum Beispiel, sind praktisch ungefährlich; denn ein Mensch kann dadurch bewußtlos gemacht werden und erwacht nachher, wenn der Ätherdampf entfernt wird, wieder zum Leben. Chloroform ist ein radikaleres Narkotikum und trotz seiner hohen Wirksamkeit kann die zulässige Dosis leicht überschritten werden, was die schlimmsten Folgen hat.
Untersuchen wir nun, ob diese Reaktionen, die so kennzeichnend für das menschliche und tierische Leben sind, oder ob doch manche von ihnen ihr Gegenstück im Leben der Pflanze haben. Wir müssen zunächst ein Verfahren finden, die Pflanze der Wirkung verschiedener Gase und narkotischer Dämpfe auszusetzen. Wir schließen hierzu die Pflanze in eine Glaskammer mit einem Einlaß- und einem Auslaßrohr ein. Gase und Dämpfe können in die Kammer eingepumpt, die Luft kann durch das Auslaßrohr ausgetrieben werden. Um die Nachwirkungen zu beobachten, kann sodann die Kammer mit frischer Luft gefüllt werden. Haben die Gase nur vorübergehende Narkose der Pflanzen herbeigeführt, so erweckt die Zufuhr frischer Luft diese wieder zum Leben. War die angewandte Dosis aber zu groß oder war das Gas allzu giftig, so tritt der Tod ein und eine Wiederbelebung ist nicht mehr möglich.
Sollen flüssige Mittel geprüft werden, so bringen wir sie auf die Wurzel oder an das abgeschnittene Ende des Stengels und die von der Pflanze geübte Saugung bewirkt, daß sie sich durch die Gewebe verbreiten.
KOHLENDIOXYD
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Fig. 16. Wirkung von Kohlendioxyd. |
Ich will zunächst die Wirkung des Kohlensäuregases beschreiben. Nach einer weitverbreiteten Meinung wird dieses Gas, das das Tier tötet, als lebensfördernd für die Pflanze betrachtet. Man glaubt, die Pflanze gedeihe in der tödlichen Atmosphäre von Kohlensäuregas. Unsere Kurve (Fig. 16) zeigt jedoch, daß die Pflanze hier statt zu gedeihen, gerade so wie ein menschliches Wesen erstickt. Man beachte, wie die Pflanze erleichtert nach Luft schnappt, sobald frische Luft zugeführt wird. Wir müssen uns in diesem Zusammenhang daran erinnern, daß die meisten Lebewesen einschließlich der Pflanzen des Sauerstoffs für die Atmung bedürfen. Zum Unterschied von den Tieren sind indes die grünen Pflanzen befähigt, in Gegenwart von Licht die aus der Luft aufgenommene Kohlensäure zu zerlegen, wobei sie den Sauerstoff wieder abgeben und den Kohlenstoff für ihre Ernährung fixieren. Diese Fähigkeit der Kohlensäure-Assimilation darf in keiner Weise mit der Aufnahme von Sauerstoff für die Atmung verwechselt werden. Die letztere ist eine unerläßliche Bedingung für die Erhaltung des Lebens bei der Pflanze wie beim Tier. Im Gegensatze zur Wirkung des Kohlensäuregases steht die belebende Wirkung des Ozons, welches erhöhte Reaktionsfähigkeit verursacht.
SCHWEFELWASSERSTOFF
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Fig. 17. Wirkung von Schwefelwasserstoff. |
Es ist wohl bekannt, daß manche Pflanzen in der Atmosphäre der Großstadt nicht gedeihen. So konnte z. B. die sensitive Pflanze Biophytum sensitivum, bei der die kleinen Blättchen durch die geringste Reizung in schwingende Bewegung versetzt werden, in meinem Laboratorium in Calcutta nicht in lebenskräftigem Zustand erhalten werden. Ich fand sie indes schon durchaus normal und im Zustand starker Reizbarkeit in den Vororten, die sieben Meilen von der Stadt entfernt sind. Die Stadtluft enthält Spuren verschiedener Gase, wie Schwefeldioxyd und Schwefelwasserstoff, die beide für die Pflanze höchst schädlich sind. Man ersieht dies in Fig. 17. Hier hat die Zufuhr von Schwefelwasserstoff jegliche Reizbarkeit vernichtet; die drei dicken Punkte bezeichnen die Einwirkung heftiger Reize, auf welche keine Reaktion mehr erfolgte. Die Pflanze erwies sich nachher als tot.
ÄTHER
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Fig. 18. Wirkung von Äther. |
Wir kehren von solchen tödlichen Giften zurück zu den Narkoticis. Wir beginnen mit einem Versuche mit Äther. Die Kurve (Fig. 18) zeigt, daß die Pflanze, sobald der Äther einwirkt, beginnt, ihre Reizbarkeit zu verlieren, gerade so wie ein Mensch sein Bewußtsein in der Äthernarkose verliert. Entfernt man den Ätherdampf, so sieht man, wie die Pflanze allmählich ihre normale Reizbarkeit zurückgewinnt.
Andere Versuche lassen erkennen, daß eine sehr kleine Dosis von Äther gesteigerte Erregbarkeit bewirkt. Wir kommen da zu einem bemerkenswerten Ergebnis, zur Tatsache, daß die Wirkung eines chemischen Mittels sich mit dem Betrag der angewandten Dosis ändert; eine kleine Dosis hat, allgemein gesagt, eine Wirkung, die der einer großen Dosis diametral entgegengesetzt ist.
CHLOROFORM
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Fig. 19. Wirkung von Chloroform. |
Äther erweist sich in der medizinischen Praxis als ein gefahrloseres Narkotikum denn Chloroform, bei dem jedes Zuviel von schlimmen Wirkungen begleitet sein kann. Fig. 19 zeigt die Wirkung einer großen Dosis Chloroform auf die Pflanze. Eine solche bringt nicht nur die gänzliche Vernichtung der Reizbarkeit mit sich, sondern sie führt zu einem plötzlichen Krampf, den wir als eine aufwärtsschießende Linie sehen. Nachher brachte die Entfernung des Dampfes keine Wiederbelebung der Pflanze, sondern diese zeigte die charakteristische Verfärbung des Todes.
ALKOHOL
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Fig. 20. Wirkung von Alkohol. |
Die unmittelbare Wirkung verdünnten Alkoholdampfes besteht oft in einer vorübergehenden Erhöhung der Erregbarkeit. Doch seine fortgesetzte Einwirkung führt zu einem Depressionszustand. Der unstete, wackelige Gang der Pflanze im Zustand der Alkoholvergiftung könnte ohne Zweifel ein gutes Anschauungsmaterial bei einer Temperenz-Vorlesung geben!