Die Pflanzenschrift und ihre Offenbarungen
von Jagadis Chunder Bose
XXII. KAPITEL
KOHLENSÄURE-ASSIMILATION
Die unablässig sich abspielenden Lebensvorgänge sind mit einem Verbrauch von Energie verbunden, die früher von dem Organismus gespeichert worden ist. Betrachten wir z. B. das Saftsteigen, so hebt da die stete Pumptätigkeit des den Saftstrom fördernden Gewebes enorme Wassermengen zu beträchtlicher Höhe empor. Die Energie für diese Arbeitsleistung stammt von dem Abbau organischer Substanzen bei der inneren Verbrennung oder Atmung her. Der Energieverlust muß durch Aufnahme und Speicherung von Energie aus der Außenwelt gedeckt werden.
Auf zwei Wegen kann der Energienachschub erfolgen: die Energie kann von dem Organismus in aktiver oder kinetischer Form aufgenommen werden oder aber in inaktiver, potentieller oder latenter Form. Die erstere Methode ist kennzeichnend für die Pflanzen, die letztere für die Tiere. Die Pflanze kann dank ihres grünen Farbstoffes, des Chlorophylls die kinetische Energie der Sonnenstrahlen absorbieren und wird dadurch befähigt, aus dem Kohlensäuregas der Atmosphäre organische Substanz, d.h. komplexe Kohlenstoffverbindungen aufzubauen, worin in latenter Form die Energie des absorbierten Lichtes gespeichert wird. Die so gebildete organische Substanz wird zum Teil zur Erhaltung und zum Wachstum des Pflanzenkörpers verwendet und zur Ausführung der verschiedenen Lebenstätigkeiten verbraucht. Der Überschuß wird in verschiedenen Geweben der Pflanze als Reservematerial für künftiges Wachstum und speziell in den Samen und Früchten für Reproduktionszwecke gespeichert.
Im Gegensatz dazu ist das Tier in seiner Energie- und Stoffversorgung gänzlich auf organische Nahrung angewiesen, welche letzten Endes von der grünen Pflanze erzeugt worden ist. Das Tier ist also von der Pflanze abhängig; und beide sind von der Sonne abhängig, die Pflanze direkt, das Tier indirekt. Die Sonne ist in Wahrheit die letzte Quelle aller Energie, die im lebenden Organismus als Wärme, als elektrischer Strom oder Bewegung erscheint, sie ist auch die Quelle jener Energie, die bei den Verbrennungsvorgängen frei wird. Wenn wir vor einem Kohlenfeuer stehen, so wärmen wir uns in der Sonne, die vor Millionen Jahren in der Steinkohlenzeit geschienen hat.
So ist die Kohlensäure-Assimilation der grünen Pflanze, die Photosynthese, wie man jetzt sagt, ein Prozeß von größtem theoretischen und praktischen Interesse, welcher gründliche Untersuchung verdient; dabei sind im besonderen die Bedingungen zu bestimmen, unter welchen jener Vorgang erfolgt. Dies läßt sich aber erreichen, wenn man bei der Photosynthese den Gasaustausch zwischen der Pflanze und der Atmosphäre messend verfolgt, d. h. entweder das Volumen des aufgenommenen Kohlendioxyds oder das gleiche Volumen des freigesetzten Sauerstoffs bestimmt. Die Messung des aufgenommenen CO2-Gases macht komplizierte, chemische Analysen nötig, die Methodik ist langwierig und beschwerlich. Die Messung der Sauerstoffabgabe ist aussichtsreicher. Es ist mir gelungen, für diesen Zweck einen Apparat zu konstruieren, den ich nun beschreiben will.
DER REGISTRIERAPPARAT FÜR DIE ASSIMILATION
Die Wasserpflanzen entnehmen ihren Kohlenstoff der im Wasser gelösten Kohlensäure. Wenn Sonnenlicht auf diese Pflanzen fällt, so wird das Kohlensäuregas zerlegt, der Kohlenstoff wird in Form organischer Verbindungen, die wir Kohlehydrate nennen, fixiert und ein gleiches Volumen von Sauerstoff wird entbunden, der als ein Bläschenstrom von der Pflanze aufsteigt. Die Geschwindigkeit der Sauerstoffentwicklung zeigt die Geschwindigkeit des Assimilationsvorganges an.
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Fig. 102. Der automatische Apparat zur Registrierung der Photosynthese. S Blasenzähler mit Verschlußhahn, E elektrischer Kontaktstift zur Schließung des Kontakts mit dem Quecksilbertropfen M, A Regulierschraube, V Volta'sche Zelle, C Kondensor, D Schreibtrommel, W elektromagnetischer Schreibstift, G Regulator, gesondert bei P dargestellt, mit zwei drehbaren Hebeln H, I Schreibtrommel mit Tintenstift. Die elektrische Glocke ist nicht gezeichnet. |
Zahlreiche Schwierigkeiten standen der Ausführung der Methode im Wege; sie wurden indes durch meinen automatischen Registrierapparat überwunden. Ein Sproß einer Wasserpflanze, z. B. von Hydrilla verticilata wird in eine Tlasche gebracht, die mit Teichwasser, das genügend CO2 gelöst enthält, ganz gefüllt ist, und deren Hals durch einen besonderen Apparat, den "Blasenzähler", verschlossen wird; letzterer dient zur Messung des entwickelten Sauerstoffs. Der Blasenzähler besteht aus einer U-Röhre, deren äußeres Ende durch einen Tropfen Quecksilber verschlossen wird, welcher als Ventil dient. Der von der Pflanze entwickelte Sauerstoff tritt in die U-Röhre ein und bewirkt hier steigenden Druck, welcher endlich den Quecksilbertropfen hebt und eine Gasblase entweichen läßt. Die Klappe schließt sich darauf sofort wieder, bis sie später wieder gelüftet wird, wenn eine nächste, gleich große Gasblase entweicht. Die Bewegung des Quecksilbertropfens schließt einen elektrischen Stromkreis, der entweder eine Glocke ertönen läßt oder einen elektromagnetischen Schreibstift Punkte auf einer drehbaren Trommel aufzeichnen läßt (Fig. 102). Die automatische Registriermethode schließt alle persönlichen Beobachtungsfehler aus. Sie ist so extrem empfindlich, daß es möglich wird, eine Kohlensäureaufnahme von nicht mehr als einem Millionstel-Gramm zu messen.
Um zu zeigen, wie der Apparat praktisch arbeitet, will ich folgendes Beispiel geben. Die Pflanze mit dem Apparat wird so aufgestellt, daß sie von Norden Licht empfängt; die . Glocke tönt jedesmal, wenn die Pflanze eine bestimmte Menge Sauerstoff, einem gleichen Volumen absorbierter CO2 entsprechend, entwickelt hat. Wenn nun eine Person vor das Licht tritt, so wird die Assimilation schwächer, und die Glocke erklingt nur in längeren Zwischenräumen. Wenn starkes Sonnenlicht auf die Pflanze fällt, so wird die Folge der Glockensignale sehr beschleunigt. Die Pflanze ist ein so empfindlicher Lichtanzeiger, daß sie als Photometer verwendet werden könnte, um die geringsten Veränderungen in der Stärke des Himmelslichtes anzuzeigen.
Es ist mir gelungen, eine Vorrichtung zu konstruieren, worin die Pflanze durch elektrische Schaltung ein Licht aufdreht, sobald das Himmelslicht durch einen Nebel verdunkelt wird. Wenn der Himmel klar wird, wird das Licht wieder abgedreht. Der Apparat könnte während des Winters in London von Nutzen sein. Noch interessanter sind die automatischen Aufzeichnungen des elektromagnetischen Schreibstiftes in Form einer Folge von Punkten auf der berußten Trommel. Wird die Geschwindigkeit des Assimilationsvorganges auf irgendeine Weise erhöht, so rücken die Punkte näher aneinander. Verminderte Assimilation drückt sich durch größere Zwischenräume aus.
DIE TAGESPERIODE DER ASSIMILATION
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Fig. 103. Automatische Aufzeichnung des Blasenstromes durch je 5 Minuten zu verschiedenen Tageszeiten. Man beachte das langsame Tempo um 7.30 Uhr a. m. und 4.30 Uhr p. m. und das rasche Tempo um die Mittagszeit. |
Zu welcher Tageszeit assimiliert die Pflanze das CO2-Gas am raschesten? Um diese Frage zu beantworten, ließ ich eine Folge von Punktreihen von 7.30 morgens bis 5 Uhr nachmittags aufzeichnen, und zwar alle halben Stunden jedesmal 5 Minuten lang. Wenn die Sonne um 6.45 morgens aufging, war das Licht noch zu schwach, um wirksam zu sein. Um 7.30 begann die Assimilation, und die Pflanze entwickelte vier Sauerstoffblasen im Lauf von 5 Minuten; wie der Tag vorrückte, wurde die Pflanze immer hungriger und hungriger, bis sie um l Uhr mittags viermal soviel CO2 aufnahm als am Morgen. Es ist bemerkenswert, daß auch die Pflanze gerade zu unserer Lunchzeit am hungrigsten ist!
Der wahre Grund der starken Assimilation um l Uhr mittags liegt in den günstigen Licht- und Temperaturbedingungen. Die Assimilationstätigkeit nimmt am Nachmittag ab und steht stille, sobald die Dunkelheit einbricht (Fig. 103).
DIE WIRKUNG STIMULIERENDER MITTEL
Da die Assimilation im wesentlichen ein vitaler Prozeß ist, so erweist sich jede Schädigung durch übermäßige Reizung als höchst schädlich. So geriet eine Pflanze, die lebhaft assimiliert und ihr Wohlbefinden durch rasch sich folgende Glockensignale ausgesprochen hatte, plötzlich in einen Depressionszustand, als sie von einem starken elektrischen Reiz getroffen worden war. Sie war für längere Zeit in ihrem Appetit gestört, wie die Unterbrechung der Glockentöne zeigte. Je stärker die Reizung, desto länger dauert der Stillstand der Assimilation. Die Moral aus der Sache ist, daß wir zumindest eine halbe Stunde vor der Mahlzeit absolute Ruhe halten sollten. Die Nahrung kann zum Gift werden, wenn wir sie in stark irritiertem Zustand genießen.
DIE WIRKUNG WINZIGER SPUREN CHEMISCHER SUBSTANZEN
Im Laufe meiner Untersuchungen machte ich die Entdeckung, daß die Gegenwart kleinster Spuren gewisser chemischer Substanzen eine außerordentlich starke Erhöhung der Kohlensäure-Assimilation zur Folge hat. Die angewandte Verdünnung war ein Teil in einer Milliarde. Bei gewissen Substanzen führte noch eine Verdünnung von einem Teil in zwei Milliarden Teilen Wasser zu einer Zunahme der Assimilationstätigkeit von mehr als hundert Prozent. Die letztere nahm ab, wenn die Konzentration der Lösung ein gewisses kritisches Maß überstieg. Verdünnter Extrakt der Schilddrüse, in einer Verdünnung von einem Teil in einer Milliarde, bewirkte eine maximale Erhöhung von ungefähr 70%. Bemerkenswert ist bei der Wirkung von Schilddrüsenextrakt, daß innerhalb eines recht weiten Konzentrationsbereiches keine Herabsetzung der Assimilationstätigkeit unter das normale Maß zur Geltung kam. Die Wirkung kleiner Spuren von Jod war mehr oder weniger ähnlich. Es erscheint auf den ersten Blick unverständlich, daß unmeßbar kleine Spuren gewisser chemischer Substanzen einen so mächtigen Einfluß auf Lebensvorgänge haben sollen. Der unmittelbare, konkrete Nachweis der Wirkung kleinster Mengen chemischer Stoffe auf die Kohlensäure-Assimilation ist von speziellem Interesse, da er uns dazu verhilft, die Wirkung unmeßbar kleiner Vitaminmengen auf die allgemeine Assimilation und die Wirkung der Hormone auf physiologische Reaktionen zu verstehen.
DER NUTZEFFEKT DER GRÜNEN PFLANZE
BEI DER SPEICHERUNG DER SONNENENERGIE
Man kann sagen, daß das ökonomische Leben unseres Zeitalters in weitem Umfang auf der Benützung der solaren Energie beruht, die in vergangenen Zeitaltern durch das vegetabilische Leben aufgespeichert worden ist. Wie groß ist der Nutzeffekt der pflanzlichen Mechanismen bei dieser Speicherung? Er ist bisher als äußerst klein betrachtet worden, als kleiner denn l Prozent; doch die Methoden, die bisher bei diesen Bestimmungen verwendet wurden, waren mehr oder weniger mangelhaft. Ich unternahm deshalb eine sorgfältige Neubestimmung mit neuer, sehr empfindlicher Methodik. Die einfallende Sonnenenergie wurde mit Hilfe meines magnetischen Radiometers sorgfältig bestimmt, und der von der Pflanze gespeicherte Energieanteil wurde ebenfalls genau gemessen. Der Nutzeffekt wurde viel höher gefunden, als man allgemein angenommen hatte, denn er liegt bei etwa 7,4 Prozent. Es ist interessant, den Nutzeffekt einer gewöhnlichen Dampfmaschine mit jenem der photosynthetischen Organe zu vergleichen. In der ersteren wird die potentielle Energie der Kohle in die kinetische Energie der Bewegung übergeführt; in letzterem wird die kinetische Energie der Strahlung in die potentielle Energie komplexer chemischer Verbindungen verwandelt. Der Nutzeffekt im photosynthetischen Organ beträgt etwa die Hälfte von jenem der gewöhnlichen Dampfmaschine. Nach all dem wäre es kein allzu unpraktisches Unternehmen, wenn man einen Chlorophyll-Apparat ersänne, um das Sonnenlicht einzufangen.
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