Die Pflanzenschrift und ihre Offenbarungen

von Jagadis Chunder Bose


XX. KAPITEL
DAS MELKEN DER PALMEN
Fig. 84. Die indische Dattelpalme. Der Stamm ist eingeschnitten, um den Saft in dem Gefäß zu sammeln.
Fig. 84. Die indische Dattelpalme. Der Stamm ist eingeschnitten, um den Saft in dem Gefäß zu sammeln.

In Indien werden große Mengen von Zucker aus dem Saft von Palmen gewonnen. Die indische Dattelpalme (Phoenix sylvestris) erreicht eine Höhe von 10 bis 13 Meter. Der Saft wird auf eine besondere Weise gewonnen, nämlich, indem man das obere Ende des Stammes verwundet (Fig. 84). Die tägliche Ernte an zuckerhaltigem Saft kann bei diesem Baum bis zu 19 Liter betragen. Der Zuckersaft wird frisch getrunken oder zur Herstellung von Zucker verwendet; er wird auch vergoren und dient dann zur Erzeugung eines berauschenden Getränks.

Der andere Baum, dessen zuckerhaltiger Saft gesammelt wird, ist die Palmyra-Palme (Borassus flabellifer). Es ist dies ein Baum von sehr langsamem Wachstum, der mehr als hundert Jahre alt wird. Der Saft wird dem abgeschnittenen Ende des Blütenstandes, des "Spadix" entnommen, der bloß im Sommer erscheint. Die Gärung beginnt bei der hohen Temperatur rasch, und man muß besondere Vorsichtsmaßregeln anwenden, den Saft ungegoren zu erhalten. Gewöhnliche Reinigung der Sammelgefäße reicht für diesen Zweck nicht aus. Das übliche Verfahren besteht darin, die Gefäße innen mit gebranntem Kalk zu bestreichen und nachher zu waschen. Dieses antiseptische Verfahren genügt meistens, um den Saft frisch und trinkbar zu erhalten.

Die Gesamtmenge des Saftes, den ein einzelner Baum während seines Lebens liefert, kann 120 000 Liter erreichen. Der Saft ist reich an Zucker, dessen Gehalt bis zu 10 % beträgt. Der Baum muß als eine sehr gute Nutzpflanze für die Zuckergewinnung gelten, denn der Gesamtertrag eines einzigen Baumes während seines Lebens kann die enorme Höhe von 12 000 kg oder 12 Tonnen erreichen.

DIE TAGESSCHWANKUNG DER SAFTABSCHEIDUNG
Fig. 85. Aufzeichnung der Saftabscheidung der indischen Dattelpalme während 24 Stunden. Man beachte die größere Entfernung der Punkte um l Uhr p.m. und ihr Aneinanderrücken nach 3 Uhr p. m.
Fig. 85. Aufzeichnung der Saftabscheidung der indischen Dattelpalme während 24 Stunden. Man beachte die größere Entfernung der Punkte um l Uhr p.m. und ihr Aneinanderrücken nach 3 Uhr p. m.

Die stündlichen Ausflußmengen des Saftes sind nicht zu allen Zeiten des Tages und der Nacht gleich, sondern zeigen eine interessante Tageskurve. Um diese zu studieren, ersann ich einen Apparat mit einer Kippvorrichtung, welcher die gesammelten Saftmengen automatisch durch mehrere Stunden oder Tage aufzeichnet. Der Registrierapparat kann auch innerhalb des Laboratoriums abseits vom Baum aufgestellt werden. Sobald das Sammelgefäß des Apparates voll wird, kippt es über und entleert sich selbst. Dadurch wird jedesmal ein elektrischer Stromkreis geschlossen und das elektrische Signal zeichnet eine Marke auf einer Registriertrommel. Es ist nichts weiter nötig, als die Marken zu zählen, die näher beisammenliegen, wenn die Abscheidung reichlich ist, weiter entfernt sind, wenn diese spärlich ist. Der selbsttätige Apparat zeigt, daß die Menge des Saftertrages etwa um l Uhr mittags ihr Minimum, um 2 Uhr morgens ihr Maximum hat (Fig. 85). Die Abscheidung ist also nachts bei weitem reichlicher als bei Tage.

ERKLÄRUNG DER STÄRKEREN ABSCHEIDUNG BEI NACHT

Sorgfältige Messungen über den Ertrag eines bestimmten Exemplars der Dattelpalme ergaben, daß die Dattelpalme in der Zeit von 6 Uhr morgens bis 6 Uhr abends 700 cm3 Saft lieferte, während in den folgenden zwölf Nachtstunden 2150 cm3 zur Abscheidung kamen, also die dreifache Menge. Wenn man eine Erklärung für diesen Unterschied sucht, so muß man bedenken, daß der Baum außer durch den Saftausfluß aus der Wundfläche auch durch die Transpiration der Blätter Wasser verliert. Infolgedessen muß das Transpirationsmaximum mit dem Minimum der Abscheidung zusammenfallen und umgekehrt. Da der Transpirationsverlust bei Nacht gering ist, wird die Saftabscheidung aus der Schnittfläche verhältnismäßig stärker. Bei Tag ist hingegen der Transpirationsverlust der Blätter sehr groß, der Saftertrag daher geringer.

DIE NOTWENDIGKEIT WIEDERHOLTER VERWUNDUNG

Wir wenden uns nun zur Erklärung der Saftausscheidung bei der indischen Dattelpalme. Manche Bäume sind im ersten Frühjahr vor der Entfaltung der Blätter mit Saft erfüllt, der unter starkem Drucke steht, so daß der Saft sogleich austritt, wenn ein Loch in den Stamm gebohrt wird. Doch bei der Palme wird aus einem Bohrloch im Stamme kein Saft ausgeschieden. Ich fällte eine Palme, und die Schnittfläche des Strunkes ließ nicht einen einzigen Tropfen Saft austreten. Gewebsstücke aus dem Inneren des Stammes zeigten sich völlig trocken, und erst bei Anwendung erheblichen Druckes konnte eine kleine Menge Saft daraus abgepreßt werden. Dieser Versuch beweist, daß bei der Palme kein Wurzeldruck vorhanden ist, der die Saftausscheidung aus den Wundstellen bewirken könnte. Man muß sich in diesem Zusammenhange auch daran erinnern, daß die Dattelpalme auf sehr trockenem oder selbst dürrem Boden wächst. Daher ist der Baum gezwungen, das spärlich und in schwankender Menge vorhandene Wasser voll auszunützen. Die Palme sendet mehr als tausend Wurzeln auf erhebliche Entfernung aus, deren jede ungefähr so dick wie ein kleiner Finger ist. Ich verfolgte diese Wurzeln bis auf eine Entfernung von sieben Metern, doch das Ende war noch nicht zu sehen. Der Stamm der Palme wird also durch das so sehr weit ausgebreitete Wurzelsystem langsam mit Wasser versorgt, wobei der Saft im Stamm des Baumes mit großer Zähigkeit festgehalten wird.

Ein Bohrloch, das man in dem Stamme anbringt, liefert, wie erwähnt, keinen einzigen Tropfen Saft. Wie läßt sich nun der Baum dazu bringen, seinen gespeicherten Schatz herauszugeben? Die normale Untätigkeit der Wundflächen geht daraus hervor, daß bei der Palme zunächst keine Flüssigkeit ausgeschieden wird, selbst wenn man senkrechte Einschnitte am oberen Teil des Stammes anbringt. Der Saft beginnt erst auszutreten, wenn man den Stamm beinahe eine Woche lang wiederholt durch Ritzen oder Einschneiden verwundet hat.

Wie sind diese Tatsachen zu erklären? Ich habe schon in einem früheren Kapitel gezeigt, daß ein lebendes Gewebe vom untätigen Zustand zu rhythmischer Tätigkeit erweckt werden kann, wenn ein entsprechender Reiz einwirkt. Ein sehr inaktives Gewebe braucht naturgemäß einen sehr starken Reiz oder wiederholte Reize, die durch Summation wirksam werden. Um die Saftausscheidung der Palme herbeizuführen, muß entsprechend ein intensiver Wundreiz durch etliche Tage wiederholt einwirken.

DER PROZESS DES "MELKENS"

Bei der Palmyra-Palme, wo der Blütenstand oder Spadix den Saft liefert, ist die Behandlungsweise eine etwas andere. Hier erfolgt noch keine Ausscheidung, wenn die Spitze des Spadix abgeschnitten wird; die Abscheidung setzt erst ein, nachdem der Blütenstand durch etliche Tage einer besonderen Behandlung unterworfen worden ist. Für diesen Zweck sind in verschiedenen Gegenden zwei verschiedene Methoden in Übung, die passend als Klopfen und als Melken bezeichnet werden können, letzteres nach der naheliegenden Analogie mit der Art, wie das Kalb der Kuh die Milch entnimmt.

Die Malayen klopfen den unteren Teil des Blütenstandes mit einem Holzhammer etwa zwei Wochen lang wiederholt, worauf der zuckerhaltige Saft aus einem Einschnitt, den man anbringt, gewonnen wird. Das in Indien angewandte Verfahren ist vielleicht etwas humaner. Der lange Spadix wird fest zwischen den Fingern gehalten und von oben nach unten gestrichen, ein Vorgang, der dem beim Melken einer Kuh ähnlich ist. Dieser Melkprozeß wird eine Woche lang Tag für Tag wiederholt. Schneidet man dann die Spitze des Spadix ab, so erfolgt alsbald ein reichlicher Saftausfluß. Man kann das vorausgehende Hämmern mit dem ersten Ziehen des Kalbes, das Kneten mit dem gewöhnlichen Vorgang des Melkens vergleichen.

Die Methoden, die man anwendet, um den Saftausfluß aus den vorher inaktiven Geweben der Palmen hervorzurufen, sind also im Grunde ähnlich. Sie haben einen gemeinsamen Zweck, nämlich den, die ruhende Tätigkeit durch wiederholte Reizeinwirkung zu erwecken, wobei der Reiz die Form wiederholter Schnitte, Schläge oder Knetungen haben kann. Durch solche Behandlung wird das ruhende Gewebe ähnlich wie ein Drüsengewebe zur Tätigkeit angeregt, und es ist dann imstande, die Saftausscheidung auch ohne Mithilfe eines Wurzeldruckes oder Druckes im Stamminneren zu vollziehen.

 
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