Die Pflanzenschrift und ihre Offenbarungen
von Jagadis Chunder Bose
XII. KAPITEL
DER MAGNETISCHE AUXANOGRAPH
Die im vorigen Kapitel beschriebene Methode hat gezeigt, wie Veränderungen in der Wachstumsgeschwindigkeit aus den entsprechenden Richtungsänderungen der aufgezeichneten Wachstumskurve festgestellt werden können. Es ist jedoch begreiflich, daß ganz kleine solche Veränderungen sich nur durch Unregelmäßigkeiten der Kurve ausdrücken, die zu gering sind, um mit jener Methode wahrgenommen zu werden.
DER GLEICHGEWICHTS-AUXANOGRAPH
Es war deshalb notwendig, eine neue Methode zu ersinnen, die in jedem Augenblick durch die Aufwärts- oder Abwärtsbewegung eines Zeigers die beschleunigende oder verzögernde Wirkung eines Faktors auf das Wachstum anzeigt. Es ist mir geglückt, diesen Gedanken durch die Erfindung der Gleichgewichtsmethode zu verwirklichen. Ich ließ die Pflanzen in genau demselben Tempo sich abwärts bewegen, in dem die wachsende Spitze sich aufwärts bewegt. Eine Reguliervorrichtung mußte angebracht werden, analog dem Kompensationsmechanismus des astronomischen Teleskops, der die Wirkung der in 24 Stunden erfolgenden Drehung der Erde um ihre Achse ausgleicht. Die Aufgabe war indes noch schwieriger; denn anstatt der Kompensation einer bestimmten Geschwindigkeit mußten Vorrichtungen getroffen werden, die stark variierenden Geschwindigkeiten des Wachstums bei verschiedenen Pflanzen und auch bei derselben Pflanze unter verschiedenen Bedingungen auszugleichen.
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Fig. 53. Der Gleichgewichts-Auxanograph. Die Wachstumsbewegung wird durch gleich schnelle Bewegung der Pflanze P nach abwärts kompensiert. S Schraube zur Einstellung der Reguliervorrichtung, G, W Gewicht, welches das Uhrwerk treibt. |
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Fig. 54. Registrierkurve über die Wirkung von Kohlendioxyd auf das Wachstum. Die horizontale Linie links zeigt das Wachstum im Gleichgewichtszustand. Die Einwirkung des Kohlendioxyds führt zu einer vorübergehenden Beschleunigung des Wachstums, welcher der aufsteigende Kurvenast entspricht. Abstand zweier Punkte - 10 Sekunden. |
Im Gleichgewichts-Auxanographen läßt nun ein Uhrwerk von drehbaren Zahnrädern, das durch ein Gewicht W in Bewegung gesetzt wird, die Pflanze mit genau derselben Geschwindigkeit sich abwärts senken, mit welcher sie selbst emporwächst. Durch gradweise Drehung der Schraube S nach rechts oder links läßt sich das Tempo der Kompensationsbewegung ständig beschleunigen oder verlangsamen. Die Wachstumsbewegung wird genau kompensiert, so daß die wachsende Spitze der Pflanze genau in derselben Höhe bleibt. Die Spitze wird in gewohnter Weise mit dem stark vergrößernden Auxanographen verbunden und der Registrierapparat zeichnet seine Punkte jetzt in horizontaler Linie statt in einer ansteigenden Kurve wie in der früheren Methode. Der so ins Gleichgewicht gesetzte Apparat wird außerordentlich empfindlich. Der kleinste Wechsel in der Wachstumsgeschwindigkeit durch Außeneinflüsse wird sogleich durch die Störung des Gleichgewichts und die Aufoder Abwärtsbewegung der Kurve angezeigt. Die Methode ist so extrem empfindlich, daß sie ganz winzig kleine Änderungen im Wachstumstempo von der Größenordnung von einem Tausendmillionstel eines Zolls oder einem Vierzig millionstel-Millimeter in der Sekunde erkennen läßt und aufzeichnet.
Die Feinheit dieser Methode ersieht man aus der Registrierkurve der Wirkung von Kohlendioxyd auf das Wachstum (Fig. 54). Ein Sturz, gefüllt mit diesem Gas, wurde oberhalb der Pflanze in geeigneter Weise befestigt ; das Gas floß seinem Gewicht entsprechend in einem Strom nach abwärts und umgab die Pflanze. Die Kurve zeigt, daß dies unmittelbar eine Beschleunigung des Wachstums veranlaßte, die 2,5 Minuten anhielt; unter der fortdauernden Wirkung des Gases folgte der anfänglichen Beschleunigung bald eine Verzögerung des Wachstums, wie der absteigende Kurvenast zeigt. Der Gleichgewichts - Auxanograph läßt nicht nur die günstige Wirkung eines angewandten Mittels erkennen, sondern zeigt auch die anzuwendende Dosis an.
WIRKUNG EINES GANZ KURZEN LICHTBLITZES
Man betrachtet die Pflanzen als sehr träge in der Wahrnehmung des Lichtes, indem man eine zusammenhängende Exposition durch mehr als fünf Minuten als das wirksame Minimum ansieht. Ich stellte Versuche an, um festzustellen, ob die Pflanze nicht auch auf Lichtexposition von äußerst kurzer Dauer antwortet. Es ist nicht möglich, sich etwas Flüchtigeres zu denken, als einen einzigen Lichtblitz. Ich setzte die am Gleichgewichts-Auxanographen armierte, wachsende Pflanze einem künstlichen Lichtblitz aus, und zwar dem Licht, das von einem einzelnen zwischen zwei Metallkugeln überspringenden elektrischen Funken ausgeht. Die Pflanze nahm ihn wahr und reagierte auf den Lichtblitz von unglaublich kurzer Dauer, wie sich aus der Störung des Gleichgewichts und der automatisch aufgezeichneten Kurve ergab.
DRAHTLOSE WELLEN UND WACHSTUM
Wir haben gezeigt, daß die Pflanze nicht nur sehr schwache Reizung, sondern auch Reizung von äußerst kurzer Dauer wahrnimmt. Ich ging nun weiter daran zu untersuchen, in welcher Reihenfolge die Pflanze die verschiedenen sichtbaren und unsichtbaren Strahlen, denen sie ausgesetzt wird, wahrnimmt. Die Pflanze reagiert auf ultraviolettes Licht mit seiner äußerst kurzen Wellenlänge durch Verlangsamung ihres Wachstumstempos. Die hemmende Wirkung des Lichts auf das Wachstum nimmt nach der Seite der schwächer brechbaren Strahlen, nach gelb und rot hin ab. Wenn wir noch weiter ins Gebiet der infraroten Strahlen schreiten, so gelangen wir in das weite Feld der elektromagnetischen Strahlen, deren Wellenlänge von den kürzesten Wellen, die ich erzeugen konnte, von 0,6 cm bis zu anderen, die meilenlang sein können, variiert. Da erhebt sich nun die höchst interessante Frage, ob die Pflanzen die langen Ätherwellen, einschließlich der für die drahtlose Telegraphie verwendeten, wahrnehmen und auf sie reagieren.
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Fig. 55. Aufzeichnung der Wirkung drahtloser Wellen auf die Pflanze. (a) Reaktion auf schwache Reizung durch Wachstumsbeschleunigung; (b) Reaktion auf starke Reizung durch Wachstumsverzögerung; (c) Reaktion auf mittelstarke Reizung - Verlangsamung mit folgender Wiedererholung. Die absteigenden Äste bezeichnen Beschleunigung, die aufsteigenden Verlangsamung des Wachstums. |
Der Gleichgewichts-Auxanograph wurde dazu verwendet, die Veränderung im Wachstum, die sich unter der Wirkung der drahtlosen Wellen einstellt, aufzuzeichnen. Meine Versuchsergebnisse lassen erkennen, daß drahtlose Wellen charakteristische Veränderungen im Wachstum hervorrufen, die von der Intensität der Reizung abhängen. Schwache Wellen bewirken eine Beschleunigung in der Geschwindigkeit des Wachstums. Sehr starke Wellen führen eine Verzögerung herbei, deren Wirkung noch lange Zeit nach dem Aufhören des Reizes anhält. Mit Wellen mittlerer Stärke aber wurde eine Verzögerung bewirkt, der eine rasche Wiedererholung folgte (Fig. 55). Der Wahrnehmungsbereich der Pflanze ist unverkennbar größer als der unsrige; sie vermag die verschiedenen Strahlen des weiten Spektrums nicht nur wahrzunehmen, sondern auch darauf zu reagieren.
Es ist vielleicht ganz gut, daß unsere Sinne in ihrem Umfang beschränkt sind. Denn das Leben würde sonst unerträglich sein, wenn wir ohne Unterlaß durch die Wellen der Funksprüche und Radiosender irritiert würden, für die die Ziegelmauern unserer Wohnungen ganz durchlässig sind. Hermetisch verschlossene Metallkammern wären dann notwendig, um uns einigen Schutz zu gewähren.
MAGNETISCHE VERGRÖSSERUNGEN
Der stark vergrößernde Auxanograph mit seiner 10000-fachen Vergrößerung hat in Verbindung mit der Gleichgewichtsmethode Resultate ergeben, die alle Erwartungen übertrafen. Man hätte damit wohl zufrieden sein können, doch der Mensch ist nie zufrieden, und gerade sein unersättliches Verlangen, die eigenen früheren Errungenschaften zu übertreffen, ist die wahre Triebfeder für allen Fortschritt. Ich setzte mir daher die Aufgabe, einen Super-auxanographen zu erfinden; wenn ich durch Einführung eines zweiten Hebels die Vergrößerungskraft von hundert auf zehntausend hatte steigern können, so vermöchte ein dritter Hebel sie vielleicht noch entsprechend zu erhöhen. Dieser Versuch schlug aber gänzlich fehl. Das Gewicht und damit die Reibung an den Kontaktpunkten, die die einzelnen Hebelsysteme verbanden, wurde zu stark erhöht und der theoretische Gewinn ging in der Praxis gänzlich verloren. Ich war deshalb gezwungen, ein neues Verfahren auszuarbeiten. Da ein materieller Kontakt sich als undurchführbar erwiesen hatte, mußte ich eine neue Art der Verbindung finden, die immateriell und deshalb reibungslos wäre. Eine solche fand ich in einer magnetischen Apparatur, wobei ein empfindlich äquilibriertes System durch die Bewegung eines benachbarten magnetischen Hebels in seinem Gleichgewicht beeinflußt wird.
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Fig. 56. Schematische Darstellung des magnetischen Auxanographen. |
Fig. 56 wird die Sache verständlich machen. SN ist ein leichter dünner Magnetstab, der im Schwerpunkt von einer Stütze getragen wird. Der kurze Arm des Hebels ist mit dem Gipfel einer wachsenden Pflanze W verbunden. Die Wachstumsverlängerung läßt das N-Ende des Magnetstabes sich nach abwärts bewegen, und dies bewirkt zunehmende Ablenkung der schwebenden Magnetnadel ns, an der ein kleiner Spiegel befestigt ist. Die Empfindlichkeit wird noch sehr erhöht, wenn man statt der Einzelnadel ns ein astatisches Nadelpaar verwendet. Von dem Spiegel wird eine Lichtlinie nach einer entfernten Skala hin reflektiert. Das Wandern dieses reflektierten Lichtstrahls zeigt die Wachstunisbewegung in einer 10-100-millionenfachen Vergrößerung.
Es fällt uns schwer, uns eine so paradoxe Vergrößerung zu veranschaulichen. Eine konkrete Vorstellung davon können wir uns indes etwa machen, wenn wir uns das Tempo der sprichwörtlichen Schnecke durch den magnetischen Auxanographen zehnmülionenmal vergrößert denken. Für eine solche Geschwindigkeit gibt es selbst im modernen Geschützwesen keine Parallele. Die 15-Zoll-Kanone der S-N Magnetstab, im Schwerpunkt von einer Stütze getragen; am kurzen Hebelarm ist die wachsende Pflanze W befestigt. Durch die Wachstumsverlängerung wird N abwärtsgedrückt, wodurch eine zunehmende Ablenkung der schwebenden Nadel mit dem Spiegel M bewirkt wird. Der reflektierte Lichtfleck gibt die Ablenkung vergrößert wieder.
Königin Elisabeth schleudert die Geschosse mit einer Anfangsgeschwindigkeit von 2360 Fuß (720 m) pro Sekunde aus. Doch die Schnecke im Auxanographen würde sich noch 24-mal schneller bewegen als das Geschoß. Wir müssen für einen besseren Vergleich nach kosmischen Geschwindigkeiten greifen. Ein Punkt am Erdäquator dreht sich mit einer Geschwindigkeit von 1037 Meilen in der Stunde. Doch die Auxanographen-Schnecke würde auf die träge Erde herabblicken; denn in der Zeit, da die Erde sich einmal dreht, würde die Schnecke nahezu 40-mal um dieselbe marschieren.
VERJÜNGUNG
Es läßt sich kein Apparat erdenken, der die unsichtbaren Lebenstätigkeiten der Pflanze so lebhaft zur Anschauung bringt, wie unser magnetischer Apparat. Ich fand, daß manche Pflanzenorgane im Zustand der Reife ihr Wachstum beenden. In solchen Fällen, wo das Wachstum ein normales Ende erreicht hatte, fand ich es manchmal möglich, dasselbe durch die Wirkung gewisser Reize zu erneuern. Es liegt hier jedenfalls eine Stütze für den stets wiederkehrenden Traum der Verjüngung vor. Auch unsere eigene Erfahrung sagt uns, daß Hoffnung und getreuer Optimismus uns jung erhalten können, während Pessimismus und Zynismus zu vorzeitigem Altern und zu frühem Verfall führen.
DAS LEBEN IM RUHEZUSTAND
Der magnetische Auxanograph ist hervorragend geeignet, das Wachstum vor einer großen Zuhörerschaft zu demonstrieren. Keine Außenbedingungen sind wohl für Wachstumsversuche ungünstiger als jene, die in der Tiefe des englischen Winters herrschen, wenn die Pflanzen in der Winterruhe sich befinden. Dessen ungeachtet ließen sich diese dahin bringen, die Schlaffheit abzuschütteln; die Geschwindigkeit des dennoch bestehenden Wachstums wurde durch die Bewegung einer Lichtlinie angezeigt, die über eine 10 Fuß lange Skala im Lauf von 12 Sekunden hinzog, während die wirkliche Geschwindigkeit weniger als ein Hunderttausendstel-Zoll in der Sekunde war.
Andere Versuche, noch überzeugender als die früheren, lassen sich über die Wirkung der Gifte auf die Hemmung oder Erhöhung der Wachstumsgeschwindigkeit anstellen. Das Wachstum der Pflanzen unter normalen Bedingungen zeigt sich vergrößert als eine Lichtlinie, die über die Skala hinzieht. Durch ein Mittel, das Depression bewirkt, wird das Wachstum gelähmt und die Lichtlinie zum Stehen gebracht, doch die Dosis eines stimulierenden Mittels entfernt die Depression sogleich. Das Leben der Pflanze wird so dem Willen des Experimentators Untertan; er kann ihre Lebenstätigkeit erhöhen oder herabdrücken. Er kann sie dem Todespunkt näher bringen, indem er Gifte einwirken läßt, und kann die Pflanze, wenn sie unstet an der Schneide zwischen Leben und Tod schwebt, durch rechtzeitige Anwendung eines Gegengiftes ins Leben zurückrufen.
Es ist wahr, daß der Mensch recht unvollkommen ausgestattet ist, Eroberungszüge ins große Meer des Unbekannten hinaus zu unternehmen. Von allen möglichen Klängen und Tönen sind nur elf Oktaven für ihn hörbar und eine einzige Oktave von Lichtwellen umschreibt seinen Gesichtssinn. Und weiter setzt ihm die Wellenlänge der sichtbaren Strahlung unüberschreitbare Schranken. Niemals wird er Dinge zu sehen imstande sein, die kleiner sind als der 50000ste Teil eines Zolls oder 1/2000 mm, was der Länge der einzelnen Lichtwelle entspricht. Diese Beschränkungen haben ihn nicht abschrecken können, sie haben ihn im Gegenteil zu größerem Eifer angespornt in seinen Forschungszügen ins Reich des Unsichtbaren. Die geheimnisvollen Bewegungen des Lebens sollen ihm nicht für alle Zeit unerforschlich bleiben; sondern rastloser Eifer und aufrichtiges Streben werden ihm das Geheimnis, das hinter allen Lebenserscheinungen liegt, enthüllen.