Die Pflanzenschrift und ihre Offenbarungen

von Jagadis Chunder Bose


ANHANG

DAS BOSE-INSTITUT

DIE SCHWELLE DES LEBENS8

Im Laufe meiner Untersuchungen wurde ich unmerklich auf das Grenzgebiet zwischen Physik und Physiologie geführt und fand zu meinem Erstaunen, daß die Grenzlinien vielfach verschwanden und Berührungslinien zwischen dem Reich des Lebendigen und des Nichtlebendigen auftauchten. Auch die anorganische Materie erwies sich keineswegs als inaktiv; auch hier bewirkte das Spiel der mannigfaltigen äußeren Kräfte Eindrücke charakteristischer Art. Eine gemeinsame Reaktion schien Metalle, Pflanzen und Tiere zu verbinden und unter ein großes, allgemeines Gesetz zu bringen. Sie alle zeigten die Erscheinungen der Ermüdung lind Depression, die Möglichkeit der Erholung und Wiederbelebung und schließlich die dauernde Reaktionslosigkeit, die der Tod mit sich bringt.

Die Erweiterung und Vertiefung der Untersuchung der zahlreichen, sich immer neu eröffnenden Probleme der jungen Wissenschaft, die das Lebendige und das Leblose umfaßt, ist einer der Hauptzwecke des Institutes, das ich heute eröffne. Man mag die jetzige Zeit als ungeeignet für ein derart neues Unternehmen betrachten, denn eine große Tragödie hängt über dem Schicksal der Menschheit. Doch eben in solchen Zeiten der Krisis lernen die Menschen das Echte vom Unechten unterscheiden, so daß sie sich dem Dienste der Wahrheit widmen können, die ein ewiges Gut ist.

DIE ZWEI IDEALE

Es sind zwei sich ergänzende, nicht aber sich ausschlies-sende Ideale, die die Menschheit unserer Tage bewegen. Das erste ist das individualistische Ideal, es strebt nach Erfolg auf der ganzen Linie, nach dem Gewinn materieller Güter und Befriedigung des persönlichen Ehrgeizes. Diese Dinge sind notwendig, doch für sich allein können sie das Leben einer Nation nicht befestigen. Solch materielles Streben hat zur Erwerbung von Macht und Reichtum geführt. Selbst im Reich der Wissenschaft gewahren wir ein fieberhaftes Rennen, die Errungenschaften des Geistes praktisch anzuwenden, und zwar öfter, um Zerstörung zu schaffen, als um Gutes zu wirken. Da alle Hemmungen verschwunden scheinen, ist unsere Zivilisation heute an den Rand des Verderbens gelangt. - Da muß es noch ein anderes Ideal geben, um den Menschen aus diesem sinnlosen Rennen ohne Ziel, das zum Unheil führen muß, zu erretten. Er ist der Lockung nimmersatten Strebens und Ehrgeizes gefolgt und findet keinen Moment Ruhe, an die letzten Dinge zu denken, für die ihm der materielle Erfolg als ein zeitliches Mittel dienen soll. Er hat vergessen, daß weit wichtiger als der Konkurrenzkampf die gegenseitige Hilfe und Zusammenarbeit im Leben ist.

Trotzdem hat es noch manche gegeben, die über die Tagesarbeit und das die Kräfte bindende Gebot der Stunde hinaus nach der Verwirklichung des höchsten Lebensideales gesucht haben, doch nicht auf dem Wegpassiver Entsagung, sondern durch aktiven Kampf. Der Schwächling, der den Konflikt vermied, hat, wie er nichts gewonnen hat, auch nichts zu verlieren. Nur der, der gestritten und gewonnen hat, kann die Welt bereichern, indem er die Früchte seiner siegreichen Erfahrung hinweggibt.

Das Ideal des Gebens, des Bereicherns und schließlich der Selbstentsagung den höchsten Aufgaben der Menschheit zuliebe ist das andere, ergänzende Lebensideal. Das treibende Motiv ist dabei nicht persönlicher Ehrgeiz, sondern das Streben, alle Kleinlichkeit abzuschütteln und jene Unwissenheit an der Wurzel auszurotten, die alles für Gewinn hält, was durch den Verlust anderer erkauft ist. Wohl weiß ich, daß es allein Erkenntnis der Wahrheit gibt, wenn man verwirrende Zerstreuung meidet und wenn der Geist zur Ruhe und Sammlung gelangt, und ich wünsche mir zu Schülern jene ganz wenigen, die ihr ganzes Leben in strenger, zielbewußter Arbeit dem einen Zweck zu weihen und an jenem nie beendeten Kampf teilzunehmen gewillt sind, die Wissenschaft um ihrer selbst willen zu fördern und der Wahrheit ins Auge zu sehen.

FORTSCHRITT UND AUSBREITUNG DER WISSENSCHAFT

Die Arbeiten, die in meinem Laboratorium ausgeführt worden sind und die die Reaktionen der leblosen Materie und die überraschenden Entdeckungen aus dem Pflanzenleben betreffen, worin die Wunder des höchsten tierischen Lebens vorangedeutet sind, haben weite Forschungsgebiete für die Physik, die Physiologie, die Medizin, die Agrikultur und auch für die Psychologie eröffnet. Diese Forschungen sind offenbar umfassender als die gewohnten der Physiker und Physiologen, denn sie fordern Interessen und Fähigkeiten, die bisher mehr oder weniger zwischen jenen beiden geteilt waren. Beim Studium der Natur ist ein zweifacher Gesichtspunkt vonnöten, ein abwechselndes und doch rhythmisch einheitliches Sichdurchdringen biologischer Gedanken mit physikalischen Studien und physikalischen Denkens mit biologischen Studien. Der künftige Naturforscher mit seinem erhöhten physikalischen Können, seiner reicheren Kenntnis der anorganischen Welt wird mit verdoppelter Energie an sein neues Werk herantreten. Er wird in die Lage kommen, das Überlieferte zu sichten und mit feineren Sieben die Spreu vom Weizen zu sondern, das Alte mit feineren Instrumenten und neuem Enthusiasmus nochmals zu prüfen. Seine Behandlung der Probleme wird lebensvoller und energischer, eindringender und großzügiger sein.

Die Förderung der Wissenschaft ist der Hauptzweck dieses Instituts, ihr zur Seite steht die Verbreitung der gewonnenen Erkenntnis. Wir sind hier im größten der zahlreichen Räume dieses Hauses der Wissenschaft, im Vorlesungssaal. Da ich dieses große Auditorium dem Hause anfügte, habe ich den Versuch gemacht, für alle Zeit den Fortschritt der Wissenschaft mit ihrer allgemeinsten und weitest möglichen Verbreitung zu verbinden; dabei sind ohne akademische Schranken die Menschen aller Rassen und Zungen, Männer wie Frauen, eingeladen, für alle kommenden Zeiten. Die Vorträge sollen einer Hörerschaft von etwa fünfzehnhundert Menschen die neuen Entdeckungen verkünden, die hier der Öffentlichkeit zum erstenmal vorgeführt werden sollen. Wir wollen so beständig das höchste Ziel der großen Lehr- und Forschungsstätten im Auge halten, indem wir tätigen Anteil sowohl an der Förderung als an der Verbreitung der Wissenschaft nehmen.

Mein weiterer Wunsch ist, daß, soweit es die äußeren Verhältnisse zulassen, die Mittel dieses Instituts den arbeitenden Forschern aller Länder zur Verfügung stehen sollen. Darin versuche ich den großen Traditionen meines Landes zu folgen, das schon vor zweieinhalb Jahrtausenden die Schüler aus allen Teilen der Welt in den Mauern ihrer alten Studiensitze zu Nalanda und zu Taxilla willkommen hieß.

DER AUSBLICK

Mit solchen weiten Ausblicken wollen wir nicht nur die höchsten Traditionen der Vergangenheit wahren, sondern auch der Welt in wahrhaft edler Weise dienen. Wir fühlen uns mit ihr eins darin, nach den Quellen des Lebens zu forschen, die gemeinsame Liebe zum Guten, Wahren und Schönen zu pflegen. In diesem Institut, diesem Hause und Garten des Lebens, ist auch das Gebot der Kunst nicht vergessen, denn der Künstler hat vom Fundament bis zur Zinne, von der Flur bis zur Decke dieser Halle mit uns gearbeitet. Und hinter jenen Wölbungen geht das Laboratorium unmerklich in den Garten über, welcher das wahre Laboratorium für das Studium des Lebens ist. Um die Krauter, Pflanzen und Bäume spielen hier die natürlichen Kräfte der Umwelt - Sonnenschein und Wind und der Frost der Mitternacht unter dem gestirnten Himmelsgewölbe. Es gibt auch andere Räume, wo die Pflanzen der Wirkung verschiedenfarbigen Lichtes, den unsichtbaren Strahlen, der atmosphärischen Elektrizität ausgesetzt werden. Überall werden sie in ihrer eigenen Schrift die Geschichte dessen aufzeichnen, was in ihnen vorgeht. Der Student wird von seinem luftigen Beobachtungsplatz unter dem Laubdach der Bäume dieses Panorama des Lebens gewahren. Getrennt von aller zersplitternden Zerstreuung wird er lernen, sich selbst mit der Natur in Einklang zu bringen; der verhüllende Schleier wird sich lüften, und er wird allmählich zur Einsicht gelangen, wie überall auf dem großen Ozean des Lebens die Einheitlichkeit die scheinbare Ungleichartigkeit überwiegt. Aus der Verschiedenheit wird er die große Harmonie erkennen lernen.

Dies sind die Träume, die seit manchen Jahren ihr Netz um meine wache Seele gewoben haben. Der Ausblick ist endlos, denn das Ziel liegt im Unendlichen. Die volle Verwirklichung kann nicht in einem Leben, nicht durch die Mittel eines einzelnen erreicht werden, sondern nur durch die Zusammenarbeit vieler Männer mit all ihren Mitteln. Die Möglichkeit einer weiteren Ausgestaltung wird von weiteren großen Stiftungen abhängen. Doch ein Anfang mußte gemacht werden, und ein solcher ist die erste Begründung dieses Instituts. Ich bin mit nichts gekommen und will zurückkehren, wie ich kam; wenn in der Zwischenzeit etwas geleistet würde, so wäre dies in der Tat ein großes Gut. Was ich habe, will ich darbringen; und wer mit mir die Kämpfe und Beschwerden geteilt hätte, denen ich Stand gehalten habe, der wünschte fürwahr all seine Habe dem einen Zwecke zuzuwenden.

WEITERE SYNTHESE

Die äußerste Spezialisierung in der modernen Wissenschaft hat zur Gefahr geführt, daß wir die grundlegende Tatsache aus dem Blick verlieren, daß es nur eine Wahrheit und ein Wissen geben kann, welches alle Zweige der Wissenschaft in sich schließt. Wie chaotisch erscheinen die Vorgänge in der Natur! Ist die Natur ein Kosmos, worin der menschliche Geist eines Tages den einheitlichen Gang von Folge, Ordnung und Gesetz erkennen wird? Indien ist durch die Eigenart seines Geistes besonders geeignet, die Idee der Einheit zu erfassen und in der Welt der Erscheinungen ein geordnetes Universum zu sehen. Es war diese Denkrichtung, die mich unbewußt an die Grenzen der ver-schiedenen Wissenschaften geführt und mir die Bahn meines Wirkens vorgezeichnet hat, das sich in beständigem Wechsel zwischen theoretischer und praktischer Arbeit bewegt hat, von der Erforschung der anorganischen Welt zu der des organischen Lebens mit seinen mannigfachen Kräften des Wachstums, der Bewegung und der psychischen Empfindung. So vereinen und finden sich die Wege der Physik, der Physiologie und der Psychologie, und hier werden auch jene sich finden, die die Einheit in der Mannigfaltigkeit suchen.

 


Erläuterung der Fußnoten.

8. Aus der Festrede anläßlich der Einweihung des Bose-Institutes am 30. November 1917.
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